Gut vorlesen. Eine kleine Kunst. Eine große Pflicht.

Géza Ákos Molnár 28. September 2016


„Ich kann nicht frei reden. Ich bin viel zu unsicher und nervös.
Ich muß das ausformulierte Konzept vor mir haben. Am liebsten lese ich vor.“

Das sagen mir in Rhetorikseminaren statistisch 50% der Teilnehmer.

Wer vorlesend besser redet als frei: guten Mut dazu! 

Es ist schon eine großartige Leistung, wenn Sie eine tolle Rede formuliert  haben. Davon haben Ihre Hörer mehr als von einem unvorbereiteten Freiredner, der dann nur blubbert und plappert.

Allerdings: Zwischen Lesen und Vorlesen liegen Welten. Technisch lesen können Sie. Schließlich sind Sie ja alphabetisiert.

Wer technisch lesen kann, kann aber noch lange nicht gut vorlesen. Tempo und Stimmelodie bestimmen die Qualität des Hörens.

Lautstärke zu variieren und Pausen zu machen und diese richtig zu setzen und einzusetzen, das ist sehr, sehr wichtig: wegen der Dramaturgie und damit sich Ihre Hörer leicht tun, Ihnen gerne zu lauschen.

Wer den Text nie geübt hat, der mißbraucht seine Hörer als Versuchskaninchen. Außerdem blamiert er sich bis auf die Knochen. Üben ist unverzichtbar.

Apropos üben: Nehmen Sie einen Kuli und machen Sie Symbole in den Text für laut und leise, für langsamer und schneller und so weiter. So ähnlich, wie es die Musiker mit ihren Noten tun. Denn einfach nur so technisch Töne zu spielen, das spielt’s nicht.

Die Musikliebhaber brauchen die Melodie, die Musik. Nicht bloß irgendwelche Töne.
Ihre Hörer wollen Sie und Ihre Rede hören. Nicht bloß irgendwelche Mundgeräusche.

Die meisten Fehler beim Vorlesen passieren übrigens beim Betonen.

Wer seinen Text nicht wirklich verinnerlicht hat, betont garantiert alle 90 Sekunden einmal falsch. Da kann zum Beispiel schon ein Beistrich und auch nur ein Beistrichfehler (Beistrich = Komma) ganz schön in die Irre führen. Fatal! 

Ein ganz harmloses Beispiel ist folgender Satz in zwei Varianten. Lesen Sie beide Varianten laut:

… ist echt keine Werbung!
… ist echt, keine Werbung!

Haben Sie den Unterschied gemerkt? Ich bin gewiß, daß „ja“.
Unsere Schlußfolgerung also?

Erstens: Ja, lesen Sie Ihre Rede vor, wenn Sie nicht der Typ „freier Redner“ sind und auch nicht werden können.

Zweitens: Aber um Himmels willen: Üben Sie, üben Sie und üben Sie das Vorlesen laut und noch einmal und noch einmal. 

Bis alles sitzt. Sonst ist alles nichts.

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