Géza Ákos Molnár 26. Mai 2023
Kennen Sie das? Ich karikiere jetzt:
Sie sind zu einer großen Veranstaltung (Kongress, Konferenz) eingeladen und sitzen im Auditorium. Der Gastgeber tritt auf die Bühne und eröffnet die Tagung.
Weil es wirklich wichtig ist – in Österreich sogar allerallerwichtigst – und weil viele sog. Wichtige gekommen sind, begrüßt nun der Gastgeber alle diese Wichtigen. Protokollarisch korrekt nennt man sie Ehrengäste.
Er begrüßt sie namentlich. Mit allen akademischen Graden (früher gab’s wenigstens nur Professor, Doktor, Magister) mit allen Titeln, Rängen, Dienstgraden, Orden und Auszeichnungen, mit allen Vornamen und Familiennamen, und wenn es sein muß, mit Doppelnamen. Und weil es angeblich sein muß, alles und jede*n_in gendernd.
Das dauert und dauert und dauert sehr, sehr lange. Muß das sein? Ja, es muß, sagen sie uns. Wegen des Protokolls. Und aus Angst, jemand könnte beleidigt sein, wenn man ihn nicht namentlich begrüßt und persönlich beklatscht.
Ich habe das sehr oft miterlebt. Ab und wann habe ich prächtige Ausnahmen erlebt. Starke Persönlichkeiten, die das Protokoll zwar gewahrt haben, aber doch nur zum Nutzen und Vorteil für alle Anwesenden.
Denn nicht der Mensch ist für das Protokoll da, sondern:
Möchten Sie ein gelungenes Beispiel aus der Praxis sehen? Ich habe gerade eines entdeckt. Aus einer 30-minütigen Eröffnungsrede einer großen internationalen Tagung Anfang Mai 2023 zeige ich Ihnen heute nur die ersten drei Minuten.
Der Gastgeber begrüßt die Tagungsteilnehmer und die Ehrengäste. Er macht das kurz und schmerzlos – und zugleich sympathisch, schön und respektvoll.
Es gelingt ihm sogar, damit einen doppelten Mehrwert zu generieren. Die namentlich Begrüßten werden sich immer gerne an ihre Begrüßung erinnern, so individuell war sie. Und alle, die die Begrüßung gehört haben, haben die Ehrengäste dort aus einem Blickwinkel vorgestellt bekommen, den man aus den Medien nie erfahren würde.
Um welche Veranstaltung handelt es sich? Es ist die CPAC Budapest 2023 – Conservative Political Action Conference am 4. und 5. Mai. Der Gastgeber ist der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán.
Viktor Orbán ist bekannt dafür, daß er keine rhetorische Gelegenheit ungenutzt verstreichen läßt. Er erkennt vollkommen richtig: Auch die Begrüßung von Gästen ist eine rhetorische Gelegenheit. Er nützt sie für die Audienz, für die Sache (das Thema) und für die eigene Präsentation und Positionierung. Deshalb investiert er auch Zeit in die Vorbereitung der Begrüßung von Gästen. Und das ist aus Gründen rhetorischer Qualität gut so. Orbán zeigt: Nicht einmal Begrüßungen müssen fad sein. Sie können richtig interessant sein.
Die 3 Minuten, die ich für Sie übersetzt habe, sind ein Muster, wie Sie die Begrüßung von Ehrengästen sinnvoll gestalten können. Natürlich nicht im Sinne des Kopierens (jede Veranstaltung hat ihre eigene Seele), aber im Sinne des Nachahmens des dahinteliegenden Prinzips: Das Protokoll ist für den Menschen da.
1/ WENIGER ist mehr. Er hat nicht 20 Ehrengäste gelistet und nicht 20 Mal klatschen lassen und keine Phrasen und keine Floskeln abgesondert. Er hat sich für das Begrüßen aller Gäste in seinem ersten Satz und für das detailliertere von nur vier Männern – Ehrengästen – entschieden.
2/ Weniger ist MEHR. Die mit dem Einsparen von 20 Klatsch-Phasen gewonnene Zeit hat er sinnvoll investiert und hat sich jedem der Vier persönlich gewidmet. Wie?
a/ Über jeden hat er aus eigener Beobachtung, glaubhaft und glaubwürdig etwas individuell Wertvolles erzählt oder ein kleines Geheimnis entlüftet und ihm damit große Wertschätzung entgegengebracht.
b/ Er hat der Audienz in bezug auf zwei Ehrengäste sogar praktische Tips gegeben: den einen in kritischer Situation um Rat zu bitten; beim andern auf dessen rhetorisches Spezifikum zu achten (Anmerkung: diesen rhetorischen Hinweis unterstütze ich übrigens voll und ganz!).
Entdecken Sie die Details des Ganzen in meiner Mitschrift und Übersetzung der ersten drei Minuten der Rede Orbáns.
TC 0:00
[Applaus] Ich wünsche einen guten Tag! [Applaus] Good morning everybody!
Meine sehr geehrten Damen und Herren und amerikanischen Freunde und Konservative, die Sie sich aus allen Gegenden der Welt hier versammelt haben,
ich heiße die Verteidiger der freien Welt in Budapest willkommen. Wir danken Ihnen für die Gelegenheit, hier zusammen zu sein.
Ich sehe hier Kollegen; solche, die ich ganz besonders schätze.
Der Präsident von Georgien ist hier bei uns. Von ihm können wir lernen, wie man im Schatten Russlands leben kann. Und zwar so, daß Du dabei gleichzeitig Dein Land und auch den Frieden bewahrst. Er ist heute im Besitz des wertvollsten Wissens in ganz Europa. Wir wünschen Euch viel Erfolg! [Applaus]
Und hier bei uns ist auch mein Freund Babiš, während dessen Amtszeit die tschechisch-ungarische Freundschaft eine regelrechte Hochkonjunktur hatte. Nächtelang haben wir auf den Tagungen des Europäischen Rates gemeinsam gerungen.
Ich muß zugeben: Er ist der größere Kämpfer als ich. Noch frühmorgens um 4 hat er widerstanden. Und ich gebe zu, wenn er nicht dabei gewesen wäre, als wir über die Migration zu entscheiden hatten, hätten wir vielleicht nicht verhindern können, dass die Lenker des Europäischen Rats Europa mit Migranten überfluten. [Applaus] – Auch er ist hier bei uns: – [Applaus hält noch an] –
Und Herr Präsident Klaus ist auch hier mit uns. Er hat es nicht so gerne, wenn wir das sagen, aber die Wahrheit will heraus aus mir: daß er wahrscheinlich der weiseste Führer des heutigen Europas ist.
Wenn jemand vor einer schwierigen Entscheidung steht, kann ich ihm nur raten, unbedingt seine Meinung zu erbitten. Das zeigt auch, dass die Tschechen über eine große intellektuelle Kraft verfügen. Ich verstehe gar nicht, warum nicht sie an der Spitze Europas stehen, aber ich hoffe, dass wir das irgendwann erreichen werden. [Applaus]
Und hier bei uns ist mein Kollege, Herr Ministerpräsident Janez Jansa, den wir einfach den ranghöchsten Anführer nennen. Es ist lange her, so dass sich nur alte Leute wie ich daran erinnern können, aber er spielte eine wichtige Rolle dabei, dass Slowenien sich aus Jugoslawien löste und seine nationale Unabhängigkeit mit den geringstmöglichen Opfern erlangte.
Er war mehrere Male Ministerpräsident. Er ist der große Comeback-Spezialist, mein Vorbild auch, ein Mann, der nie aufgibt und nie die Contenance verliert. Ich gebe Ihnen einen Gebrauchs-Hinweis: Je leiser er spricht, desto wichtiger sind die Dinge, die er sagt. [Applaus]
TC 3:40
Übersetzung d.Verf. auf Grundlage Videoausschnitt TC 0:00 bis 3:40 dieser Quelle:
Die ganze Rede ist in englischer Sprache hier zu lesen.
Schlagwörter: VERANSTALTUNG, TSCHECHIEN, GRUSSWORT, ANDREJ BABIS, ERÖFFNUNGSREDE, MINISTERPRÄSIDENT, BEGRÜSSUNG, EUROPA, Video, BUDAPEST, AUDIENZ, reden, VIKTOR ORBÁN, PROTOKOLL, Ungarn, GEORGIEN, Redezeit, PRÄSIDENT, TAGUNG, VACLAV KLAUS, KONGRESS, SLOWENIEN, KONFERENZ, JANEZ JANSA.
Redemanufaktur © 2024