Alfred Hitchcock. Eine rhetorische Sensation.

Géza Ákos Molnár 9. März 2023


Welche rednerische Aufgabe ist schöner als die, einen Menschen zu loben? 

Ich zeige Ihnen heute eine solche Rede. Eigentlich ist es nur der Beginn einer ganz besonderen Laudatio. 

Der Redner ist uns als Laudator überhaupt nicht bekannt. Kennen tun wir ihn als einen Meister des Thrillers. Da spielt er immer genial auf der Klaviatur der Spannung, der Angst und des Schreckens.

Im Jahre 1979 hat das American Film Insitute einen großen Galaabend zu Ehren Alfred Hitchcocks ausgerichtet. 

Wir sehen im Videoausschnitt die ersten Sätze seiner Rede dort. Nur 1 Minute ist uns hier überliefert. Hitchcocks erste Worte sind seiner Frau Alma Reville gewidmet. Die beiden waren Jahrzehnte miteinander verbunden, auch beruflich. Sie schrieb Drehbücher und produzierte somanchen Hitchcockfilm. 

An ihrer Wirkung erkennen wir die Qualität der Rede

Worin besteht Alfred Hitchcocks rhetorische Meisterleistung? Am besten beobachten Sie das an der Wirkung seiner Worte. Sie sehen sofort, was Hitchcock bei den Hörern (auch bei Ihnen selbst) ausgelöst hat.

In einer einzigen Minute – noch dazu in der unglaublich wichtigen ersten Minute seiner Rede hat er zwei Dinge bewirkt, die auf den ersten Blick gar nicht zusammengehören können. Wir sehen aber, wie sehr sie sehr wohl zusammenpassen:

Die Menschen lachen herzlich. Und: Alma hat er derart berührt, daß wir sie eine Träne von ihren Augen abwischen sehen. 

Genießen Sie dieses einzigartige Dokument. Unterm Video finden Sie mein Transcript.

Transcript 

It has been my observation, that Man does not live by murder alone. 

He needs affection, approval, encouragement and occasionally a hearty meal.

Yet to mention by name only four people who have given me the most affection and constant collaboration. 

The first of the four is a filmeditor, 
the second is a scriptwriter.
The third is the mother of my daughter Pat.
The fourth is the finest cook that ever performed a miracle in a domestic kitchen.

And her names are: Alma Reville.

Analyse der Rede

Ich zeige Ihnen ein paar meisterhafte Details, mit denen Hitchcock diese Wirkung erzielt hat.

It has been my observation – eine selbstironische Anspielung auf sein Filmschaffen – beobachtet hat er die nachfolgende Sache freilich nicht, kreiert hatte er sie.

MAN does not live by murder alone – jedem klingt das Originalwort im Ohr. Jesus Christus sagte: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das aus dem Munde Gottes geht.“ (Matthäus 4,4)

Hitchcock bringt die Saite unserer Erinnerung an dieses Bibelwort zum Schwingen und überrascht mit der völlig abstrusen Entscheidung, statt „Brot“ „Mord“ zu sagen.

He needs … and occasionally a hearty meal – auch hier reiht er Logisches aneinander, kontrastiert aber zugleich maximal. Er hat unsere Bedürfnispyramide auf den Kopf gestellt!

Auf die ganz gefühlsmäßigen und fraglos existentiell wichtigen Bedürfnisse der Anerkennung, Zuneigung usw. (da hören auch alle innerlich nickend still zu) folgt erst jetzt und unerwartet und überspitzt formuliert („occasionally“) das physische Urbedürfnis: „a hearty meal“. Und wer Hitchcock ansieht, sieht, daß er wahrlich gerne gut und viel ißt. Und alle lachen, auch, weil er etwas angesprochen hat, das alle Hörer nur zu gut aus eigenem kennen. Er sagte also etwas (wirkungstechnisch entscheidend), das alle spürbar gemeinsam haben. Wer liebt nicht „a hearty meal?”

Yet to mention by name only four people – Hitchcock lenkt uns total ab. Wir glauben ihm fest, daß er nun vorhat, vier Leuten zu danken. Das entspricht der Usance bei so einer Feier.

The firstthe second … Unsere Ablenkung gelingt weiter. Erst beim „ the third“ beginnt Hitchcock, uns in die eigentliche Richtung seines großen Lobes zu führen: Mother of my daughter Pat … the finest cook that ever …

Nun setzt er den großartigen Höhepunkt, er verrät das Geheimnis, er löst das Rätsel, er zeigt, um wen es ihm geht, wem er alles dankt: And her names are: Alma Reville.

Wer ihm zusieht, wer ihm gut zuhört – mir ist, als ginge ihm das alles selber so nahe, daß er zügig spricht und bei Applaus auch weiterspricht, um nur nicht die eigene Fassung zu verlieren, um ja zu sagen, was zu sagen er hatte und es genau so zu sagen, wie er so so professionell vorbereitet hatte.und genau so zu sagen, wie er es so genial vorbereitet hatte.

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