Michael Dormandy – seine Predigt und mein Brief.

Géza Ákos Molnár 20. Mai 2025


Foto: © redemanufaktur.com 

Werte Leser, es kam so. 

Am 11. Mai habe ich am Gottesdienst der anglikanischen Christ Church Vienna teilgenommen. Ein mir damals noch unbekannter Priester hat gepredigt. Daß er wohl an die zwei Meter mißt, habe ich natürlich sofort gesehen. Daß er auch ein großer Prediger ist, das würde ich bald bemerken. 

Ich war ganz privat dort. Mein Rhetorikhirn war offline. Wie die andern Gemeindeglieder war ich einfach da und habe schlicht gelauscht. 

Beim anschließenden Nachkirchenkaffee haben wir einander persönlich kennengelernt. Als Reverend Dormandy erfährt, was ich beruflich mache, bittet er mich um rhetorisches Feedback. Es war mir richtig peinlich, weil ich ganz anders zugehört habe als in einem Rhetorikseminar. 

Mein fachlich profunderes Feedback konnte ich später nur nachreichen, weil die Christ Church Vienna die Predigten ihrer Priester zum Nachlesen online stellt. 

Aus redaktionellen Gründen habe ich meinen englischen Feedback-Brief an Herrn Dr. Dormandy (Altphilologe, Theologe, Priester) übersetzt und leicht abgeändert.  

Sehr geehrter Reverend Dr. Dormandy!

Ihre Predigt in Wien hat mich tief bewegt. Vielen Dank dafür. Ich habe während des Gottesdienstes einfach nur zugehört. Als eines von ‚Jesu Schafen.‘ 

Ich habe nicht als Rhetoriker zugehört, daher habe ich nichts bewußt beobachtet. Ich hatte nicht vor, Ihnen rhetorisches Feedback zu geben. Deshalb habe ich Ihre Bitte um rhetorisch-fachliches Feedback beim Nachkirchenkaffee nur recht oberflächlich beantwortet. 

Ich bin froh, daß ich Ihre Predigt online gefunden habe. 

Spurensuche des Rhetorikers

Wenn ich eine Rede höre, weiß ich manchmal einfach nur, daß sie sehr schön und gut ist. Aber ich weiß noch nicht im Detail, was genau der Redner gemacht hat, um sie so schön werden zu lassen.

Was mache ich, wenn ich das herausfinden möchte? Ich transkribiere die Rede (wenn es eine Aufnahme gibt) oder ich lese den Text der Rede sehr sorgfältig, wenn ich ihn erhalte. 

Fast immer ist es so, daß ich bei einer guten und schönen Rede zwei Dinge entdecken kann:

Erstens: die Gliederung, Struktur, Komposition und Dramaturgie der Rede – alles klar und logisch. 

Zweitens: die rhetorischen Stilmittel, die der Redner einsetzt, damit 

  • die Zuhörer sich leicht tun, gut zuzuhören, 
  • sich an das Gesagte erinnern (Verstand) und 
  • es sich zu Herzen nehmen (Seele).

Ich schicke Ihnen meine diesbezügliche Entdeckung. Sie ist meinem Schreiben angefügt. Hinweis: Im ersten File sehen Sie den Originaltext Ihrer Predigt, im zweiten meine Darstellung desselben. 

Hier sehen Sie die Originalversion

Hier sehen Sie meine bearbeitete Version

Die kosmische Predigt

Wie Sie sehen werden, habe ich in Ihrem Redetext die Struktur (Komposition) und die rhetorischen Stilmittel sichtbar gemacht (durch Überschriften, Pfeile usw.). 

Ich nenne Reden wie Ihre Predigt hier ‚kosmische‘ Reden. Das griechische Wort ‚kósmos‘ hat zwei Bedeutungen: Ordnung und Verzierung, Schmuck.  

Ihre Predigt zeigt diese Ordnung (klare und logische Struktur) und daß sie wie ein Schmuck schön anzusehen bzw. anzuhören ist. Wir erkennen die Schönheit Ihres rhetorischen Stils und Ihrer Sprache leicht. Darum handelt sich hier also um eine ‚kosmische‘ Predigt. 

Die didaktische Predigt

Ihre Sätze sind einfach und kurz.

Die gesamte Predigt ist didaktisch sehr klug formuliert: 

Sie haben die Fragen, die sich ‚den Schafen‘ in ihrem Leben aufdrängen, explizit artikuliert und dann beantwortet. Wer predigt, will denen, die zuhören, helfen, biblische Antworten auf ihre Fragen zu finden.

Somit ist diese gesamte Predigt, die Sie geschrieben haben, von hoher Qualität und von großem Wert, biblische Lehre und menschliche Seelsorge sind hier wunderbar miteinander verwoben.

Jetzt weiß ich, warum mich Ihre Predigt so berührt und beeindruckt hat (abgesehen davon, was der Heilige Geist getan hat, indem er Sie geführt und unseren Verstand und unsere Herzen geöffnet hat). 

Der Wissenschafter, den wir auch verstehen können

Ich bewundere den Stil, die Syntax und die Einfachheit der Formulierungen in Ihrer Predigt umso mehr, als ich weiß, daß sie von einem Wissenschaftler verfaßt worden ist. Sie, Herr Dr.  Dormandy, schreiben ja an der Universität normalerweise wohl in einem viel komplexeren Stil, mit langen, verschachtelten Sätzen und  komplizierten Partizipialkonstruktionen, gespickt mit tausend Fremdwörtern. Und hier haben Sie lauter Sätze geschrieben, denen man leicht folgen kann, wenn man Sie reden hört. 

Reverend Dormandy, ich danke Ihnen nochmals! Ich freue mich auf Ihre nächste Predigt in Wien! 

Ihr Géza Ákos Molnár

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