Géza Ákos Molnár 30. März 2023
Hat man Ihnen das auch schon gesagt? Daß Sie dies und das mit diesem und jenem nicht vergleichen dürfen?
Umgekehrt: Haben Sie das vielleicht auch schon jemandem gesagt? „Heast, des kannst ja net vagleich‘n!“ (Für Nordgermanen: heast = hör‘ mal)
Ich schon.
Vor ein paar Tagen fand ich folgenden Dialog im Kommentarfeld eines Blogs. Es ging um die Lage der Banken in der EU.
User A schreibt: „Den russischen Banken geht es angeblich sehr gut.“User B darauf: „Die unterliegen auch anderen Spielregeln. Man darf nicht Birnen mit Äpfeln vergleichen!“
Was fällt Ihnen an der Reaktion von B auf?
Meine Beobachtung: User B argumentiert inkonsistent. Woher weiß er nämlich, daß die russischen Banken anderen Spielregeln unterliegen als die Banken in der EU?
Er kann das nur wissen, weil er die beiden Bankenwelten vorher gründlich miteinander verglichen hat. Er hat also die beiden Obstsorten Apfel und Birne miteinander verglichen. Und er hat gut daran getan.
Hatte er allerdings nicht verglichen, kann er mit den „anderen Spielregeln“ nur etwas behauptet und mit seinem angeschlossenem Vergleichsverbot = Nachdenkverbot nur geblufft haben.
Wir nehmen lieber an, er hat verglichen. Worin besteht dann seine Inkonsistenz? Er hat etwas verglichen und sagt jetzt dem andern, daß er das nicht miteinander vergleichen darf.
Ich kritisiere jetzt B nicht wirklich heftig. Jedem von uns rutscht nämlich dieses Vergleichsverbot ab und zu heraus.
Ich will Sie lieber auf die tückische Falle hinweisen, in die wir gerne tappen. Wir setzen zwei grundverschiedene Wörter gleich, nämlich:
vergleichen und gleichsetzen. Ich formuliere B jetzt neu: „Die unterliegen auch andern Spielregeln. Man darf Äpfel und Birnen nicht gleichsetzen.“ Jetzt stimmt es sprachlich und es ist konsistent.
Oben habe ich geschrieben: Hat er die beiden Bankenwelten nicht miteinander verglichen, kann er nur geblufft haben.
In Diskussionen im Fernsehen, in diversen Sitzungen und sogar in privater Runde beobachten wir das bisweilen; und manchmal machen wir es in der Hitze des Gefechts selber: Damit wir die Debatte doch nicht vertiefen – wo doch der andere ganz schön gut argumentiert – und damit wir schnell die Überhand gewinnen, sagen wir laut und apodiktisch: „Das darf man doch nicht miteinander vergleichen!“
„Man“ ist immer eine starke Autorität, obwohl sie niemand kennt. Sie schüchtert die meisten Menschen wirklich ein. Zumindest für den Moment, was in Verhandlungen und Debatten meist genügt.
„Darf nicht“ versetzt den, der es tut, ins Unrecht oder in die totale Dummheit.
Im grauen Alltag funktioniert das.
1/ Wir reden schlicht, schlecht und schlampig, indem wir den deutschen Wortschatz nicht ausschöpfen. Deshalb vergessen wir leicht, daß es neben dem Wort „vergleichen“ auch das Wort „gleichsetzen“ gibt.
Daher: Entscheiden Sie, was Sie nun wirklich sagen wollen.
Meine Prognose: In 99% der Fälle werden Sie „gleichsetzen“ sagen. Das ist sachlich viel förderlicher als das Nachdenkverbot.
In der Folge werden Sie auf die Ergebnisse Ihres kundigen Vergleichens hinweisen:
„Ich habe nämlich die russischen und die EU-Banken miteinander verglichen. Und weißt Du, was ich entdeckt habe? Die unterliegen ganz verschiedenen Spielregeln.“
2/ Klar, wenn es um den schnellen, (nur!) kurzfristigen Sieg geht, dann werden wir sehr wohl aus Gründen der psychologischen Kriegsführung sagen: „Das darf man doch nicht miteinander vergleichen!“
[In der Debatte mit seinen pubertierenden Kindern ist das oft der einzige Fluchtweg. Und der ist eine Sackgasse, wie alle Mütter und Väter wissen. Aber im Moment hilft’s halt. Keine Sorge: Mangels glaubwürdiger Kompetenz biete ich eh keine Seminare an: „10 Tipps für die erfolgreiche Kommunikation mit Ihren pubertierenden Kindern!“]
3/ Aber was können, ja sollten Sie sagen, wenn Ihnen jemand das Vergleichen und damit in Wahrheit das Nachdenken verbieten will?
Wenn Sie das wieder hören: „Vergleichen verboten!“, ja dann werden Sie fragen: „Meinen Sie jetzt vergleichen oder meinen Sie gleichsetzen?“ Oder, wenn der offensive Stil besser paßt: „Wer genau will mir jetzt das Vergleichen verbieten?“ Und/oder: „Wenn Sie nicht verglichen haben, Frau Huber, woher wissen Sie dann überhaupt, daß …?“
Ich habe das schon ausprobiert. Der Kontrahent ist zunächst total verblüfft und etwas verwirrt. Er muß nachdenken, vielleicht das erste Mal während des ganzen Gesprächs, in dem er dominant allein die Richtung vorgeben wollte. Das ist mitunter lustig zu beobachten.
Aufgeklärte Menschen sind souverän und frei, weil sie neugierig fragen, weil sie viel vergleichen, weil sie gerne unterscheiden und dann fundiert entscheiden und mitunter auch trefflich streiten für ihre Sache.
Daher, werte Leser: Vergleichen Sie „vergleichen“ mit „gleichsetzen!“ Wetten, daß Sie die beiden Wörter fortan nie wieder miteinander verwechseln werden? Außer absichtlich.
PS: Ich will Ihnen die Freude nicht verderben. Aber der Vergleich allein tut’s freilich nicht. Denn selbst dann, wenn wir vergleichen oder uns jemand erzählt, er hätte verglichen, müssen wir beim Verhandeln verdammt aufpassen.
Vergleichen kann man nämlich seriös und unseriös. Intellektuell redlich und intellektuell unredlich.
Was ist umweltfreundlicher? Das E-Auto oder das kategoriegleiche Vergaserauto?
Wie hat man was genau miteinander verglichen? Nur den Auspuff mit dem Nicht-Auspuff, also die Emission beim Autofahren?
Oder die ganze Wertschöpfungskette bei beiden Typen, Energiequelle, Produktion und Entsorgung inklusive? Aber das ist ein ganz eigenes rhetorisch relevantes Thema auf dem Gebiet der Information und auf dem der Manipulation.
Schlagwörter: Debatte, Argumentation, Diskussion, Sprache, Manipulation, Macht, Information, Wortschatz, AUTORITÄT, Tipp, UNTERSCHEIDUNG, Verhandlung, VERGLEICH.
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