Warum Schulen scheitern. Betrachtungen eines Praktikers.

Géza Ákos Molnár 18. Feber 2022


Ich habe das neue Buch von Tomas Kubelik gelesen und für die Medien diese Rezension geschrieben. Ich hinterlege sie nun auch hier in meiner Kolumne. 

Ein Professor über Schule

Mit Mathematik hatte ich nie etwas am Hut. Und doch setzte ich mich jetzt am liebsten in die Mathematikstunden Professor Kubeliks. So gewinnend und überzeugend hat er mir in diesem Buch erklärt, wie sinnvoll Mathematik selbst dann ist, wenn ich sie in meinem späteren Berufsleben nie und nimmer „brauchen“ werde.

Und das tut der Autor für fast jeden Gegenstand des bewährten Fächerkanons. Am liebsten will man wieder Schüler werden. Oder: Man will doch gerne Lehrer bleiben und Schüler unterrichten, allen Widrigkeiten zum Trotz. 

Kubeliks Liebe zu seinem Beruf und zu seinen Schülern ist in jedem Abschnitt mit Händen zu greifen. Nichts liegt ihm mehr am Herzen, als  die Entwicklung der Schüler zu mündigen, freien, studierfähigen, entscheidungsfähigen Persönlichkeiten. Sogar das Wort „einsamkeitsfähig“ habe ich gelesen. 

Die Schule ist angefochten

Nichts wünscht sich Kubelik mehr, als daß die Schule ein geborgener Ort der Muße wird. Denn Entwicklung, zumal von Persönlichkeit, braucht Zeit und Ruhe. Ohne unnötige Last und hindernde Hast. 

Man spürt auf jeder Seite, daß Tomas Kubelik aus gut 20-jähriger Praxis kommt. In jedem Kapitel reflektiert er die konkrete Praxis der heutigen Schule. Er setzt sich intensiv ringend mit ihren Anfechtungen in  unserer digitalen, ökonomisierten, reglementierten und ideologisierten Zeit auseinander. 

Angefochten sind sie alle in der Schule: Lehrer, Eltern und Schüler. Kubelik behält sie immer auch alle vor Augen.

Das Buch für Eltern, Lehrer, Bildungspolitiker

Darum empfehle ich dieses Buch auch allen: den Eltern, den Lehrern, den Lehramtsstudenten und sogar interessierten Schülern ab der 9.Schulstufe. 

Ich gehe noch einen Schritt weiter. Die Mitarbeiter in den Bildungsministerien, die Bildungspolitiker und ihre Referenten müssen dieses Buch gelesen haben. 

Ahnen die Politiker und Beamten, was sie heute jungen Menschen alles vorenthalten und was sie heute Lehrern alles zumuten? Ahnen sie, was sie Schülern – altersungerecht! – alles aufhalsen? Und womit sie Lehrer heute ganz alleine lassen? 

Tun sie es unwissend, unabsichtlich, dann erfahren sie in diesem Buch die Folgen ihres Tuns und Lassens. Und sie lesen sehr konkrete, praxisnahe, umsetzbare, Lehrern, Schülern und Eltern guttuende Lösungsvorschläge. 

„Warum Schulen scheitern“  ist das beste Sach- und Fachbuch, das ich seit langem gelesen habe. Anspruchsvoll,  informativ, motivierend und spannend. Jeder Abschnitt macht neugierig auf den nächsten. Jedes einzelne Thema, jede Problemlage wird logisch, fair und sauber aus verschiedenen Blickwinkeln argumentiert.

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Das Bekenntnis zu Bildung und Persönlichkeit 

Kubelik bezieht Position. Er begründet, warum er die utilitaristische Zielsetzung von Schule ablehnt, die nur am unmittelbaren Zweck der praktischen Umsetzung des entsprechend selektierten Lehrstoffes im Alltagsleben  orientiert ist. 

Den Utilitarismus und das Prinzip der reinen Kompetenzvermittlung lehnt Kubelik ab; unter anderem, weil sie den jungen Menschen sehr viel Wertvolles und Wichtiges vorenthält und sie sogar daran hindert, aufgeklärte, souveräne Erwachsene zu werden. 

Bildung, Allgemeinbildung, gezielt auch zweckfreies Wissen und Eintauchen in den reichen natur- und geisteswissenschaftlichen Fächerkanon – das ist das analoge Gebot in unserer digitalen Zeit. 

Das Buch wird wissenschaftlichem Anspruch gerecht. Literaturkatalog und Endnoten mit allen erforderlichen Quellenangaben belegen die fachliche Präzision der Arbeit an diesem Werk.

Überraschungen, Entdeckungen

Ich habe viele Dinge entdeckt. Überrascht hat mich unter anderem, welches Menschenbild hinter PISA steckt und warum das nicht egal ist. Welch großen Einfluß die OECD, NGOs und auch Konzerne auf unsere Schulen ausüben. 

Erschrocken bin ich, als ich gelesen habe, was in den Lehrplänen geschrieben steht. Oder welche Zielvorgaben Lehrer von den Schulbehörden bekommen und welche die Autoren von Schulbüchern erhalten (haarsträubend! Man weiß es bloß nicht!).  

Motiviert hat mich u.a., was Kubelik über den Sinn von Auswendiglernen erzählt; so hatte ich das noch nicht gesehen. Sogar über das Vergessen von Gelerntem redet Kubelik. 

Wissen Sie, warum es besser ist, etwas Gelerntes zu vergessen als die vergessene Sache gar nie erst gelernt zu haben?  Das und viele andere kleine Fündlein machen dieses Buch zu einem großen Erlebnis.  

Übrigens ist das ein praktisches Buch: sinnvoll für Deutschland wie Österreich und die Schweiz gleichermaßen.

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