Géza Ákos Molnár 25. Mai 2023
Was die Unterhaltung betrifft, widme ich das Video dieses Artikels meinen deutschen Lesern.
Liebe Deutsche! So klingt ein waschechter Tiroler. Und – wenn die Kamera ins Publikum schwenkt – so sehen genuin österreichische Menschen vom Lande physiognomisch aus. Man findet sie im Bundesrat. Das ist unsere Länderkammer. Da sitzen sie beisammen, die Landsleute, die echten.
In der Ersten Kammer sind überwiegend die auffrisierten, zurechtgestutzen, die gleichgeformten braven Politiker unterwegs. Das entspricht durchaus der ostösterreichischen Mentalität: nur nicht auffallen!
Von den Landsleuten, den echten nämlich, gibt es in der Zweiten Kammer proportional etwas mehr. Man sieht sie (daher?) nur ganz, ganz selten im Fernsehen.
Umso mehr habe ich mich gefreut, als ich dieses Video zum ersten Mal gesehen habe. Den Redner kannte ich bis vor ein paar Tagen nicht. Heute weiß ich: Das war eine rhetorische Bildungslücke.
Ein Bekannter hat mir diese Rede vor ein paar Tagen zugespielt, er hat mich um meine rhetorische Meinung gebeten. Ein kleine Analyse:
1/ Redezeit 20 Minuten – gefühlt waren es viel, viel weniger. Das ist auf jeden Fall schon einmal ein rhetorisches Qualitätsmerkmal hoher Güte. Die einzige fade Stelle (Vorlesen einer langen Liste) ist bewußt, gezielt langweilig! Auf diese Idee mußt Du einmal kommen. Da hat sogar Langeweile einen Witz. Wie ich immer sage: Die Würze der Rede ist unantastbar.
2/ Der Redner selbst ist ein Original und er zeigt es auch gesund selbstbewußt. Das ist erfrischend und tut Hörern gut.
Er ist Tiroler. Seine Mundart und das typisch tirolerische Wesen zeigt er selbstverständlich auch in Wien, nämlich: sehr direkt (wenig diplomatisch) das zu sagen, was er sich denkt und es auch so zu sagen, wie er es gerade fühlt, als Politiker mit Hausverstand und als streitlustiger, tapferer Kämpfer für seine „Mander,“ und dabei mit seiner Frohnatur nicht hinterm Berg zu halten.
Lachen auch angesichts des Ernsten, ein Gewinn – auch rhetorisch!
3/ „Dem Volk auf’s Maul schauen,“ hat Martin Luther immer geraten. Ich bin gewiß, daß sich ein Tiroler (ich sehe hier von parteipolitischen Aspekten ganz ab) sich von so einem Politiker auf jeden Fall gut vertreten fühlt.
In der parlamentarischen Rede ist die Mundart auf jeden Fall ein gutes rhetorisches Qualitätsmerkmal. Zumal Herr Steiner nicht das urtümliche Tirolerisch, den Dialekt seines Herkunfstales spricht. Das würden wir nämlich alle miteinander überhaupt nicht verstehen.
4/ Politphrasen, Leerformeln, Gendern und andere degenerative rhetorische Grauslichkeiten, die dem Volk aber wirklich nie, nie, niemals aus dem „Maul“ kommen würden, kann man sich bei Herrn Steiner gar nicht vorstellen. Auch das ist ein Befund des Rhetorikers nach diese Rede.
5/ Herr Steiner redet nicht zu den andern Mandataren und zur Ministerin, sondern er redet mit ihnen. Vorbildlich für eine Debatte in einem Parlament.
Meine Lieblingsstelle, weil sie auch die Kameraleute sofort entdeckt und wunderschön eingefangen haben: Steiners Versuch, mit der Medienministerin ins Gespräch zu kommen. Wenn Sie sich auch nicht die ganze Rede ansehen, diese Stelle empfehle ich doch sehr: TC 6:38 bis 7:13. Nicht nur, aber auch so geht Oppositionsrhetorik.
6/ Wie alles Urige, Wilde, Echte und heute auch das Männliche (angesichts eines feminisierten Umfeldes) reizt uns der Auftritt Steiners durchaus. Eine Gefahr, die ich mir schon zu nennen erlaube, ist die, daß das Ganze am Ende nicht mehr nur als unterhaltsam, spannend, interessant, kämpferisch wahrgenommen wird, sondern womöglich schon als unernst. Zumindest kann es in die Richtung kippen.
Schlichte Gegenmaßnahme bei drohender Gefahr: gutes Konzept gut vorbereiten – Rededisziplin fest halten – Spontanes sorgfältig dosieren – in der Rede durchaus spontan einmal und noch ein (1) Mal in eine andere Richtung laufen und austeilen, aber dann rasch zurück auf den geplanten Kurs Richtung Sieg und Ziel laufen. Dann ist die Gefahr gebannt und alles ist gut.
Ich danke meinem Bekannten für dieses Video, ich freue mich sehr, daß ich den Redner Christoph Steiner kennengelernt habe.
Werte Leser, machen Sie sich ein Bild und hören Sie, wie Herr Steiner redet!
Nachtrag am 20. Mai 2023: Herr Dževad Karahasan ist am 19. Mai 2023 in Graz verstorben. Ich danke ihm für alles, was er mir gezeigt hat und dank seiner Bücher noch zeigen wird. Er möge in Frieden ruhen.
Schlagwörter: Martin Luther, Gendern, reden, Parlament, Debatte, Analyse, Wien, CHRISTOPH STEINER, BUNDESRAT, Video, TIROL, Redner.
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