Géza Ákos Molnár 26. Juni 2024
Die Überschrift klingt heftig – im Angesicht des Feindes. Aber sie paßt. Die Wiener Festwochen haben heuer ein besonderes Format auf die Bühne gebracht: Anschläge auf die Demokratie – Wiener Prozesse.
Zitat aus der Homepage: In als Justizprozesse angelegten Aufführungen treten dabei reale Akteur:innen der Zeitgeschichte auf. Politik wird verhandelt, ergebnisoffen.
In dieser Hinsicht haben die politisch links angesiedelten Veranstalter das Format Gerichtsprozeß konsequent umgesetzt: audiatur et altera pars – auch die andere Seite möge gehört werden.
Für die Rechten hat man Robert Willacker engagiert. Herr Willacker ist in Brasilien geboren, in Bayern aufgewachsen; er hat in Innsbruck studiert. Der Politikwissenschafter lebt in Wien.
Seine Aufgabe ist die Beantwortung folgender Frage: Braucht man Parteien wie die AfD oder die FPÖ, braucht man Rechte?
Die Fronten sind von vornherein klar. Linke antworten: Nein, brauchen wir nicht. Rechte sagen: Ja, selbstverständlich.
Die Prozeßbeobachter – also die Audienz dieser Rede Willackers – standen mehrheitlich ebenso fest: politisch linkes Publikum.
Ich hebe die Leistung beider hervor; sie bewußt vor Augen zu haben, gehört für die rhetorische Betrachtung dieser Rede unbedingt dazu:
1/ Willacker nimmt die Herausforderung an. Er tritt auf, tritt ans Pult und redet.
2/ Die Hörer hören dem Rechten zu, halten aus und halten durch. Wenn Sie die Rede gehört haben werden, werden Sie mein halten durch nachvollziehen können.
Freilich: am Ende zu applaudieren, das war nicht mehr drin. Waren die Hörer überfordert? Hat ihnen Willacker zu viel zugemutet? Oder war es gar eine Frage des Gewissens: Darf ein Linker nach so einer Rede eines Rechten klatschen?
a) Was hat Willacker nicht getan?
Das alles hätte Herr Willacker durchaus tun können. Er wollte aber das ganz Andere: mit Überraschung überführen, um vor Gericht zu obsiegen. Zumindest interpretiere ich das so.
Der Weg, den Willacker eingeschlagen hat, ist in der Tat originell, kreativ und einfallsreich.
Mit seiner rhetorischen Vorentscheidung hat er eines auf jeden Fall erzielt: die uneingeschränkte Aufmerksamkeit seiner Hörer bei den Wiener Festwochen und die weite Verbreitung seiner Rede via youtube.
b) Was hat Willacker getan?
Ich vermute: Der Redner hatte vorausgesetzt: Die Linken sind hart und direkt im Austeilen. Sie sind wohl auch gut im Einstecken.
Werte Leser, Sie kennen vielleicht den Begriff Kampfrhetorik. Was ich hier bei Willacker sehe, ist mehr als Kampfrhetorik. Wir hören hier ein Musterbeispiel für Nahkampfrhetorik.
Kann denn ein Redner noch näher an seine ihm feindlich gesinnten Hörer herantreten, als deren Seele zu beschreiben, sie zu interpretieren und einen psychologischen Befund zu liefern?
So etwas wirkt. Bei jedem. Nahkampfrhetorik ist pure Wirkungsrhetorik.
Werte Leser, wenn Sie das Video unten ansehen, achten Sie bitte auf die Stille im Saal. Die Leute sind nicht bloß ruhig. Sie sind mucksmäuschenstill.
Willacker hat seine Rede sehr persönlich angelegt. Er hat die Linken angesehen, sie durchschaut und ihnen persönlich, von Angesicht zu Angesicht erzählt, was alles er da gesehen hat.
Imselben Stil hat Willacker die Frage, ob man die Rechten brauche, beantwortet.
Er hat nicht etwa geantwortet: Ja, man braucht die Rechten. Oder: Die Demokratie braucht auch rechte Parteien.
Er hat viel intensiver formuliert: Sie brauchen die Rechten! Nota bene: Sie ist nicht 3.Person. Sie ist 2.Person Plural: Sie, meine Damen und Herren! Direkte Anrede.
Intensiv ist Willacker nicht genug. Er wird intim:
Sie brauchen die Rechten (= intensiv), um mit Ihrer eigenen Schuld fertig zu werden (= intim).
Mit seiner Entscheidung für die Nahkampfrhetorik hat Willacker den großen Treffer gelandet; die Art und Weise, wie er die Frage beantwortet hat, hat alle total überrascht.
Wir befinden uns im Gerichtssaal und hören also, wie der Rechte die Linken regelgerecht überführt und damit den Bedarf an den rechten Parteien logisch und leicht nachvollziehbar begründet. Den Beweis hat er geführt. Aus seiner Sicht, freilich. Dazu ist er ja einberufen worden.
Klar, laut, gut artikulierend, in angemessenem Tempo. Ich denke, Freund und Feind tun sich leicht, ihm gerne bis zum Schluß zuzuhören; gerne zumindest im Sinne von neugierig. Die Anspannung ist Herrn Willacker anzumerken.
Ich interpretiere: Er hat gewußt, was er da vorhat zu tun: sich den Hörern rednerisch zu nähern und ihnen ohne Euphemismen und sehr konkret, eindeutig, pointiert, mitunter überspitzt formuliert zu erzählen, was er da alles entdeckt hat, als er die Linken über die Jahre hinweg beobachtete.
Er hält am schriftlich profund vorbereiteten Redetext weitgehend fest (d.i. meine Annahme; Willacker hält viel Blickkontakt, er wirft zugleich vielfachen Blick ins Konzept – übrigens sehr gekonnt!).
Meine Vermutung: Willacker tut das nicht nur um der Redezeit willen. Er tut es, weil er sich der unglaublichen Brisanz des Ganzen bewußt ist.
Außerdem weiß Willacker wohl aus Erfahrung: Das Konzept hilft, mutig zu bleiben. Was ich geschrieben habe, habe ich zu Hause wohlüberlegt geschrieben. Im Angesicht des Feindes kneife ich jetzt bei den Wiener Festwochen nicht. Ich halte mich tapfer und treu ans Konzept. Das Konzept hält mich, es trägt mich durch.
Fazit
Egal kann niemandem bleiben, was der Redner gesagt hat und wie er es gesagt hat.
Ich habe die Rede Willackers transkribiert, ihre Struktur sichtbar gemacht und einige rhetorisch relevante Details angefügt, die die Feinschmecker unter Ihnen interessieren könnten.
Das alles finden Sie hier in diesem Dokument.
Ich wünsche Ihnen zehn sehr interessante Minuten mit Robert Willacker!
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