Karl May, Roald Dahl und Udo Jürgens. Redefreiheit – quo vadis?

Géza Ákos Molnár 6. März 2023


Winnetou“ verlegt der Ravensburger Verlag lieber nicht mehr. Karl May bedient ja Stereotype, die bei aller Liebe zum Dichter doch irgendwie rassistisch sind und kolonialistisch. 

Mohrenkopf“ singen wir im ZDF aber ganz sicher nicht. Wir dichten „Aber bitte mit Sahne“ von Udo Jürgens doch lieber um und singen nun „Schokokuß.“ Wir sind ja die Guten und daher politically correct. 

Enorm fett“ darf „Augustus Glupsch“ im Kinderbuch „Charlie und die Schokoladenfabrik“ nicht sein. Der Verlag Puffin-Books setzt sog. Sensitivity Reader ein, die alles zensurieren und dabei alles eliminieren, was irgendjemand beleidigen könnte. . Roald Dahls „Augustus Glupsch“ ist jetzt logischerweise nur mehr „enorm“. 

Die Zensur – im Westen nichts Neues

Im deutschen und im englischen Sprachraum sind die Zensur und diese Art der Bevormundung der Leser und Hörer schon Alltagsroutine geworden. Irrtümlich dachten wir, die Zeiten der Bücherverbrennung wären lang vorbei. 

Auch der Duden macht mit. Aus dem ehemaligen deutschen Leitwörterbuch ist ein ideologischer Leitfaden zur politisch korrekten Kommunikation geworden. 

Sogar die uralte deutsche Unterscheidung von grammatikalischem und biologischem Geschlecht (Genus – Sexus) hat der Duden eingeebnet, einfach plattgemacht. 

Übrigens: Auf der Suche nach einer Alternative bin ich auf ein sehr gutes Wörterbuch gestoßen, das ich Ihnen, meine werten Leser, sehr empfehle, weil es die deutsche Sprache in aller Freiheit schlicht ideologiefrei dokumentiert: 

DWDS. Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute

Kurz: dwds.de

Was für uns der Duden, ist für die Amerikaner das AP-Stylebook

The AP Stylebook announced via Twitter … that ‘the’ labels, as used in phrases like ‘the poor,’ ‘the college-educated,’ and even ‘the French,’ are no longer acceptable, deeming them ‘too general’ and ‘dehumanizing.’

A college student who writes ‘the homeless’ instead of ‘people who are experiencing homelessness’ in a public policy essay may now lose points on the assignment for failing to comply with AP style guidelines,” berichtet AMAC USA.

Unis unfrei

Letzteres erinnert mich an den Genderzwang für österreichische Studenten. Eine unserer Parteien hat im Jänner 2023 im Nationalrat einen Antrag zur Befreiung vom Genderzwang an Universitäten eingebracht. Alle anderen Parteien haben diesen Antrag abgelehnt. 

Es bleibt dabei: Wissenschaftliche Arbeiten müssen Studenten gendern. 

Wo kämen wir denn hin, wenn der Pharmakologe und der Mikrobiologe sich der ganz normalen deutschen Sprache grammatikalisch korrekt bedienten? Anathema!

Das ist die Lage.

Ich weiß von manchen meiner Firmen- und Einzelkunden, daß sie gegen ihren eigenen Willen gendern und künstliche Formulierungen verwenden, nur damit sie eventuellen Schaden von ihrem Unternehmen oder von sich selbst abwenden.

Es ist so. Es ist traurig so. 

Ich bin in der glücklichen Lage, auf einzelne gute Geschäftsgelegenheiten verzichten zu können. Wenn man mir – meistens von seiten der öffentlichen Hand – mitteilt, daß ich mit meinem Anbot einen Nachweis über einen absolvierten Genderkurs beilegen möge, ziehe ich mein Interesse an dem Auftrag sofort zurück, möge er noch so interessant und profitabel sein. 

Nicht mitzuspielen muß man sich aber leisten können. Angestellte, vor allem im mittleren und höheren Management haben es meistens viel schwerer als kleine Unternehmer. 

Was macht der Redenschreiber, wenn er im Auftrag gendern muß?

Was tue ich nun, wenn ich für jemand eine Rede schreibe oder einen Text für eine Publikation formulieren helfe?

Option 1: Will mein Auftraggeber aus Überzeugung gendern, dann liefere ich ihm das freilich – und zwar aus Überzeugung. Nicht aus der Überzeugung, das Gendern und das regulierte Formulieren nach Vorgaben der political correctness seien etwas Feines. 

Nichts ist wertvoller als die Freiheit

Sondern aus der Überzeugung, daß es nichts Wertvolleres für unser zivilisiertes Zusammenleben gibt als die Freiheit der Rede, der Meinung, der Presse, des Glaubens. 

Daher: Will der Redner aus freiem Willen alles politically correct machen, dann unterstütze ich ihn dabei hochprofessionell. 

Und ich tue es sogar gerne: Wenn der freiwillig Politisch-Korrekte sich trotz Kenntnis meiner rhetorischen Lehre überhaupt an mich gewendet hat, hat er mir schon damit menschliche Größe bewiesen.  

Option 2: Muß mein Auftraggeber gegen seinen Willen und gegen seine authentische Art des Redens aus – ich nenne das jetzt so – Befehlsnotstand gendern und alles fein säuberlich politically correct vortragen oder publizieren, dann machen wir  das Beste = das Geschickteste = das Schlaueste daraus.

Das geht gut. Wozu bin ich Rhetorikprofi? Um grad in solchen kniffligen Situationen eine auch hinsichtlich ideologischer Vorgaben wirklich gute Rede zu schmieden, mit der sich der Redner nicht verkrümmen muß oder sich gar seines Rückgrats entledigen muß.

Option 3: Der Redner muß zwar nicht gendern und alles im Detail politically correct formulieren, aber er spürt eine Stimmung, eine Erwartungshaltung, einen Druck in diese Richtung und macht sich Sorgen. 

Dann werden wir beides zugleich im Auge behalten: 

a/ Das Wichtigste ist, daß der Redner sein Wirkungsziel erreicht. Dem ist alles andere unterzuordnen. Dient das teilweise Gendern bei diesem speziellen Auditorium dem Erreichen des Ziels, dann werden wir eben präzise dosiert auch gendern (auch = nicht dauernd und alles). 

b/ Authentizität hat Vorrang: Redet der Redner abseits von Reden ganz „normal“ deutsch, ja dann werde ich ihn ermutigen, auch in der Rede fast nur „normal“ deutsch zu reden. 

Ganz normal deutsch!

Wenn eine Persönlichkeit redet und wenn sie vor allem etwas Wichtiges zu sagen hat, dann vergessen sogar die tugendhaften Wächter der politischen Korrektheit auf’s ständige Kontrollieren und Zensurieren und hören auf einmal schlicht zu.

c/ Vielleicht stellt sich beim Vorbereiten der Rede sogar das Schönste heraus: Trotz allgemeinen Gesinnungsdrucks lassen wir uns die Freiheit der Rede weder nehmen noch irgendwie von irgendwem einschränken. 

Im Gegenteil: Wir nehmen uns die Freiheit, so zu reden, wie wir es von klein auf gelernt haben, nämlich ganz normal deutsch

Das tut übrigens mehr Hörern gut, als man meinen möchte, nämlich so gut wie allen.

Ein kleines Erlebnis zum Schluß: 

Ich war vor zwei Wochen bei einer Dichterlesung in der „Alten Schmiede“ in Wien. Die sind dort auch sehr gerne sehr „korrekt“. 

Der großartige Dichter: Dzevad Karahasan. Er ist auch ein großartiger Rhetor, habe ich dort entdeckt. Er stellte seinen neuen Roman vor: Einübung ins Schweben. 

Der Saal war so voll, daß viele stehen bleiben mußten, um dabei sein zu können. Die Lesung und das Interview mit dem Dichter haben fast zwei Stunden gedauert. 

Der Dichter hat die Fragen so lebendig, nachdenklich, humorvoll beantwortet und alles so spannend erzählt, daß es die ganze Zeit mucksmäuschenstill geblieben ist im vollen Saal. Kein Handy. Kein Rascheln. Kein Herumwetzen. Pure Stille nur.

Beim Heimgehen erst ist mir aufgefallen, was noch geschehen war an diesem Abend: 

Niemand, nicht der Dichter, nicht die Veranstalter, nicht der Mann, der das Gespräch mit Karahasan geführt hat – niemand hat gegendert oder sonstwie correctly geredet. Kein einziges Mal. 

Liebe Leser, liebe Redner, wenn jemand wirklich gut ist in seinem Fach und Metier, und wenn jemand wirklich gut und mit innerem Sendungsbewußtsein vorträgt, dann kümmert diktierte Ideologie in der guten, normalen Praxis niemanden. 

Bewahren wir uns also die Freiheit! Retten wir auch für andere so viel Freiheit wie nur möglich! Denn gefährdet ist sie allemal und stark. 

Sie ist aber der Sauerstoff, den wir zum Leben und zum Arbeiten und zum Forschen brauchen. 

Zukunft gestalten können wir nur als freie Menschen. Ob wir frei sind, entscheiden wir.  

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