Orbán und sein Redenschreiber. 1 Rede, 3 Fehlerquellen. 

Géza Ákos Molnár 18. Oktober 2024


Sogar Fehler haben einen Vorteil. Wir können aus ihnen lernen. Weh tut’s, wenn es eigene Fehler sind, aus denen man lernt. Schmerzfrei geht alles vonstatten, wenn andere den Fehler gemacht haben. 

10. Oktober 2024. Viktor Orbán eröffnet eine Dauerausstellung im gut zwei Jahre zuvor von ihm eingeweihten Völkerkundemuseum in Budapest. Er hält seine Rede. Und ausgerechnet gleich in den allerersten Sätzen sagt er Dinge, die so offenkundig falsch sind, daß es jeder mitbekommt. Sehr peinlich. 

Wer ihn rhetorisch gut kennt, kriegt mit, daß Orbán auch sofort spürt, daß er soeben in ein riesiges, glitschiges Fettnäpfchen getreten ist. 

So etwas wünsche ich mir nicht und auch sonst keinem Redner in dieser Welt. Es ist zum in-den-Boden-Versinken.

Pluspunkt: Orbán redet einfach weiter. Sinnentscheidend für die Botschaft seiner Rede ist der Fehler nicht gewesen. Jetzt wortreich zu korrigieren, machte es erst recht kompliziert. 

Weiterer Pluspunkt: Orbán kann wohl über sich lachen, macht er doch auf seiner Homepage, auf der er seine Reden immer schriftlich und mit Video online stellt, beides: 

Im Transkript korrigiert er den Fehler. Die Videoaufnahme hat er allerdings ungeschnitten belassen. Orbán läßt also auch im Internet alle sehen und hören, was ihm da passiert ist.

1 Rede – 2 Versionen

Resultat: Wir haben jetzt eine Version A auf Filmaufnahmen und eine von ihr abweichende geschriebene Version B dieser Rede Orbáns vorliegen. 

Nach der Version A war Orbán 2022 vor dem Ausbruch von Corona das letzte Mal im Museum für Völkerkunde zugegen. In der Version B war er 2022 klarerweise fast gegen Ende der Epidemie dortselbst. 

Wortlaut Version A, hier von mir übersetzt:

Zweieinhalb Jahre ist es her, als wir im Mai 2022 das letzte Mal hier waren und das neue Völkerkundemuseum eröffneten. […] Wenn Sie sich zurückerinnern, dann war das noch […] vor Covid, […], vor dem Krieg, vor den Sanktionen und der Inflation.

Version B lautet nun auf der Website des Premierministers Ungarns wie folgt (deutsche Übersetzung ist die amtliche des Kabinetts): 

Wir waren das letzte Mal im Mai 2022 hier, also vor etwa zweieinhalb Jahren. Damals haben wir das neue Ethnographische Museum […] eröffnet. Wenn Sie sich erinnern, war das die Zeit […] noch nach COVID, nach den Epidemien, vor dem Krieg, vor den Sanktionen und vor der Inflation.

Wie konnte dieser Fehler geschehen? 

Ich vermute folgende Fehlerquellen:

  • Zeitmanagement
  • Regelverstoß 4-Augen-Prinzip und double-check 
  • Respekt-Defizit gegenüber der Rede und den Hörern

Tipps zum Vermeiden dieser Fehler

Ad 1: Zeitmanagement

Redner, erteile den Auftrag zum Schreiben der Rede zeitgerecht. Wie Brot Zeit braucht, um wirklich gutes Brot zu werden, braucht die Rede Zeit zum Reifen. 

Oder: Redenschreiber, beginne mit dem Schreiben der Rede zeitgerecht, denn … siehe oben. Kalkuliere den Zeitaufwand für die umfassende Qualitätskontrolle des Entwurfs unbedingt ein. 

Zwischenbemerkung: Das gilt übrigens ebenso für Redekonzepte, die die KI generiert hat, denn sie ist noch (?) nicht imstande, die vielen rhetorischen Qualitätskriterien tatsächlich zu erfüllen. Zwischenbemerkung Ende. 

Ad 2: 4-Augen-Prinzip

Redenschreiber sind Menschen. Irren ist menschlich und KI-isch. Ich gehe als Redenschreiber prinzipiell davon aus, daß ich im Redeentwurf etwas geschrieben habe, das schlichtweg falsch ist. 

Ich MUSS jeden einzelnen Satz der Rede streng prüfen. Im Falle des Fehlers blamiere ich, der Redenschreiber, den Redner. Im noch schlimmeren Fall sabotiere ich ihn sogar. 

Zwischenbemerkung: a) Mann oh Mann, lieber Redenschreiber Orbáns – in Deiner Haut möchte ich nach dieser Museumsrede nicht gesteckt haben! b) Wenn der Chef dieses Mannes ein guter Chef ist, dann nimmt er sich ihn ordentlich an die Brust – und – er fördert und unterstützt ihn fürderhin mit voller Überzeugung, denn eines ist sicher: Dieser Redenschreiber wird diesen Fehler nie wieder machen. Zwischenbemerkung Ende.   

Was heißt 4-Augen-Prinzip (double-check)?

In der Regel heißt das (schon alleine aus Diskretionsgründen): Ich selber muß alles, was ich als Redenschreiber geschrieben habe, ganz genau nachprüfen. Satz für Satz. Zahl für Zahl. Fakt für Fakt. 

In Kabinetten von Ministern, Regierungschefs und auf höchsten Konzernebenen arbeiten Teams von Redenschreibern. Da lasse ich meinen Redeentwurf von einem Kollegen streng prüfen, bevor ich die Rede dem Redner vorlege. Dem eigenen Text gegenüber wird man leicht betriebsblind. Vier Augen sehen mehr als zwei.

Ad 3: Respekt des Redners

Zeitdruck, Streß, Hektik? Nichts, nichts in aller Welt entschuldigt den Redner, wenn er seine eigene Rede das erste Mal erst am Rednerpult liest.

Zwischenbemerkung: Ich bilde in manchen Parlamenten und Konzernen Redenschreiber aus. Ich weiß aus der Praxis der institutionellen Redenschreiber, daß das leider tatsächlich gar nicht so selten vorkommt, daß Redner ihre Rede vor ihrem Auftritt keines einzigen Blickes würdigen. So klingen sie dann auch. Zwischenbemerkung Ende.  

Der Redenschreiber Orbáns hat also Mist gebaut? Ja! Aber Sie, Herr Ministerpräsident, haben – bei allem Respekt – den gleichen Mist gebaut! Sie hatten ihre Rede vor Ihrem Auftritt kein einziges Mal gelesen. 

Für den Redner gilt prinzipiell und ausnahmslos: 

Die Rede, die ich halte, lese ich immer, auf alle Fälle wenigstens 1 Mal aufmerksam durch. Und wenn ich das unterwegs zum Event im Auto tue oder am Stillen Örtchen vor Ort, und selbst wenn ich mich deshalb womöglich um 10 Minuten verspäte, DAS TUE ICH AUF JEDEN FALL!

Warum und wozu?

  • Selbstschutz, Eigensicherung! Auch wenn der Redenschreiber es war, der womöglich Mist gebaut hat, stinke ich, wenn ich diesen Mist verbreite.
  • Aus Gründen des Respekts vor dem Auditorium. Ihm gebührt mein Bestes. Meine Rede ist immer eine Dienstleistung an meinen Hörern. Ihre Qualität ist umso besser, je besser ich mir den Vortrag der auch vom Redenschreiber geschriebenen Rede eingeprägt habe.
  • Aus Gründen des Respekts vor meiner Mission und dem Auftrag, den ich mit meiner Rede zu erfüllen habe. 
  • Aus Gründen des Respekts vor der Arbeitsleistung meines Redenschreibers.

Ausbildung zum Redenschreiber?

Das Redenschreiben lehrt keine Schule, keine Fachhochschule, keine Universität. Ich meine das Schreiben von Reden für andere Redner. 

Die meisten Redenschreiber in Parlamenten, Ministerien und Konzernen sind hochqualifizierte Experten ihrer jeweiligen Fachrichtung. Sie wissen viel, sie präsentieren vielleicht sogar gut und lehren gut – in ihrem eigenen Namen. 

Aber ganz etwas anderes ist es, für einen andern Redner in dessen Sprache und Ausdrucksform eine Rede zu schreiben, die dann auch punktgenau zu dessen jeweiligen Audienz paßt. 

Damit das gelingt, habe ich basierend auf meiner jahrzehntelangen praktischen Erfahrung als Redner und Redenschreiber eine Seminarreihe entwickelt, die genau auf diese Qualifizierung abzielt. 

Ist das ein Thema für Sie oder für Ihre Kollegen? 

Dann rufen Sie mich an oder schreiben Sie mir! Ich stelle Ihnen dieses Modul sehr gerne im Detail vor und passe es in weiterer Folge Ihrem individuellen Bedarf genau an. Sie sind immer willkommen.

Quellen, auf die sich dieser Artikel stützt:

https://444.hu/2024/10/13/atirtak-az-oldalan-orban-pontatlan-beszedet-ami-igy-sem-sikerult-pontosra

https://miniszterelnok.hu/orban-viktor-beszede-a-neprajzi-muzeum-uj-allando-kiallitasanak-megnyito-unnepsegen/

https://miniszterelnok.hu/en/speech-by-prime-minister-viktor-orban-at-the-opening-ceremony-for-the-new-permanent-exhibition-at-the-museum-of-ethnography/

https://miniszterelnok.hu/en/rede-von-viktor-orban-bei-der-eroffnung-der-neuen-dauerausstellung-des-museums-fur-volkerkunde/

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