Géza Ákos Molnár 12. November 2024
Ich zeige Ihnen heute die berühmt gewordene Rede des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz vom 6. November 2024. Wenn Sie möchten, sehen Sie sie an:
Mein Hauptaugenmerk lege ich heute auf den Eindruck, den Scholz und seine Mannschaft bei den Fernsehzuschauern erwecken wollten: nämlich den, daß der Kanzler hier aus dem Stegreif redet.
Ich war in meinem Wohnzimmer live dabei. Zwischen acht und neun Uhr ließ man im Fernsehen ein Breaking-News-Band laufen: Finanzminister entlassen, Stellungnahme des Kanzlers um dann und dann.
Der Eindruck: Der Kanzler kommt soeben aus der Sitzung und teilt dem Volke die wichtige Entscheidung sofort und unverzüglich mit, begründet sie und gibt einen Ausblick auf die nächsten Schritte.
Diesen Eindruck des Spontanen und Alsbaldigen und daß er diese Entscheidung gerade vorhin, wie vor ein paar Minuten erst, trauriger- aber notwendigerweise zu treffen gezwungen war, hat er in der Rede auch inhaltlich intensiviert, indem er sich auf die soeben erfolgten Gespräche berufen hat.
Schon nach eins, zwei Minuten des Zuhörens habe ich erkannt:
Das ist ein sehr professionell vorbereiteter Text und Herrn Scholz war er augenscheinlich so wichtig, daß er ihn auch richtig gut einstudiert hat. Ich weiß, daß so etwas viele Stunden Vorbereitungsaufwands braucht. Eine Rede so zu schreiben wie diese Kanzlerrede, das dauert. Und das Vorlesen zu üben, das dauert auch. Scholz hat das gut gemacht. Die meisten Politiker lesen ihre Reden übrigens grottenschlecht und hastig vor.
Nebenbemerkung: Diese Rede konnte der Redenschreiber nur unter detaillierter Anweisung des Redners schreiben. Begründung: Die Dinge, die Scholz über und gegen Christian Lindner, seinen Finanzminister, vorbringt, schlägt kein Redenschreiber von sich aus vor, so zu formulieren wie es hier geschehen ist.
Solch einen Input kann m.E. nur direkt vom Auftraggeber kommen, also vom Kanzler persönlich. Ausnahme: Der Redenschreiber ist nach vielen Jahren intensiver, intimer Zusammenarbeit zum Alter Ego des Redners gewachsen.
Jetzt bin ich natürlich Experte und erkenne das Fake, das Theater, das Gespiele des Olaf Scholz rasch. Woran? Unter anderem am Vortragsstil, an der Wortwahl, an der Syntax, an den rhetorischen Stilmitteln, an der emotional raffiniert angelegten Dramaturgie der ganzen Rede. Schließlich gehört es zu meinem Beruf, das für einen Redner so vorbereiten zu können wie das der Redenschreiber des Kanzlers hier getan hatte. Der Mann ist wirklich gut – ich meine meinen Kollegen Redenschreiber im deutschen Kanzleramt.
Was ich bald erkannt habe, hat allerdings jeder nur halbwegs wache Zuschauer und Zuhörer sofort gefühlt und empfunden. Instinktiv hat er das Spiel durchschaut, weil er ein Sensorium, ein Gespür für Wahrheit und Lüge hat.
Und der normale Bürger hat sich gefragt: Echt jetzt? Scholz ist grad soeben aus einer Sitzung gekommen? Er hat grad soeben die Entlassung seines Ministers entschieden? Er hätte das so gerne abgewendet im Gespräch zuvor? Aber es wollte ihm ob der Tücke des nun Entlassenen nicht gelingen?
Außerdem: Beobachten Sie den Blickwechsel Scholzens: einmal nach links, aber immer ganz genau zum selben Punkt – einmal nach rechts, detto. Zwischendurch für den Bruchteil einer Sekunde mittig ausgerichtet.
Was man – sehr gut vorbereitet und mit der Kamera abgesprochen – verborgen hat: die Teleprompter. Keine Kamera hat sie eingefangen. Sogar beim Abgang hat der Kameramann die Kamera geschickt gezoomt und geschwenkt – nichts davon kam ins Fernsehbild.
Er hat brav einen professionell vorbereiteten Text abgelesen. Hinter dem ganzen Auftritt stand von der Ankündigung per Breaking-News-Band bis zum Entschwinden des Kanzlers ein von langer Hand ausgeklügelter rhetorischer Masterplan.
Ich komme gleich auf den Punkt: Ja, man darf. Es gibt manchmal sehr kritische Situationen, vor allem in der Politik und in der Konzernpolitik, wo man diese Entscheidung genau so treffen kann, weil sie unter den vorhandenen Alternativen noch die beste Option ist.
Insofern kritisiere ich dieses So-Tun-Als-Ob heute und in bezug auf Scholz am 6. November auch nicht, bevor ich die Hintergründe der Entscheidung nicht im Detail kenne noch die Alternativen mit Scholzens Stab mit abwägen kann. Ich kritisiere nicht das Was. Dafür allerdings umso vehementer das Wie.
Die Umsetzung, das Wie war total dilettantisch. Abgesehen von Bühne und Kameraregie und andern visuellen Manipulationsversuchen:
Ein Spitzenpolitiker, auch ein Topmanager, muß bereit sein, spontan auszuschauende Reden auch spontan klingend vorzutragen.
Was braucht er dazu? Er braucht die Fähigkeit, gut ganz frei zu reden. Kompromiß: die Fähigkeit, mit einem einzigen Blatt Papier mit ein paar Stichwörtern drauf gut fast ganz frei zu reden.
Kann er das nicht, soll er solche Inszenierungen lieber ganz bleiben lassen. Das ist auf jeden Fall besser, als so So-Zu-Tun-Als-Ob wie das Scholz an diesem denk- und merkwürdigen Abend des 6. Novembers 2024 n.Chr. getan hat.
Schlimm ist das vor allem deshalb, weil er die Bürger damit für total dumm verkauft hat. Redner, ich sage Dir: Verkaufe Deine Hörer nie, nie, nie für dumm. Das mögen sie nämlich gar nicht.
Wenn Sie einmal so tun müssen, als ob sie spontan redeten:
Stehen Sie vor einer besonderen rhetorischen Herausforderung? Es ist mir eine Ehre und eine Freude, Sie zu unterstützen. Ich liebe meinen Beruf und mache das gerne. Kontaktieren Sie mich gleich. Sie sind willkommen!
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