Géza Ákos Molnár 9. Juli 2024
Vorgestern, im Flugzeug. Eine junge Frau nahm Platz neben mir. Meinen Gruß erwidern konnte sie nicht. Wohl wegen ihrer hohen Nase. Aber analog lesen konnte sie, das ist ja schon was! Ihr Buch löste bei mir den Bildungslückenalarm aus: Iwan Sergejewitsch Turgenew, Väter und Söhne.
Und während sie so las, kamen mir der Oberbürgermeister von Tübingen Boris Palmer und der Kommunistenführer Gregor Gysi in den Sinn.
Warum? Weil ich sie grad ein paar Tage zuvor ihre eigenen Geschichten mit ihren Vätern erzählen gehört habe. Vor allem Gysi hat seine Geschichte so gut erzählt, daß ich Sie Ihnen heute zeigen will. Doch der Reihe nach:
TC 18:47 bis 19:15: Palmer nimmt Bezug auf seinen in ganz Baden-Württemberg berühmten Vater:
Ja, also er hat, das weiß ich aus einer Dissertation, das hab‘ ich nicht selber nachgezählt, er hat in 250 Gemeinden in Baden-Württemberg, im Lauf von 40 Jahren, für das Amt des Bürgermeisters oder Oberbürgermeisters kandidiert – das heißt in jeder vierten (also aus heutiger Zählung; damals gab’s mehr Gemeinden).
Aber das heißt, egal, wo ich hinkomm, ältere Leute erzählen mir immer Geschichten: Ihr Vater war damals da und hat däs und däs … Das ist also immer sehr amüsant. Es folgen dann ein paar interessante Details mit Seitensträngen der Erzählung, bis dann Gregor Gysi auf das Thema Väter und Söhne zurückkommt. Und da erzählt Gysi Boris Palmer seine eigene Geschichte:
TC 22:00 bis 23:07: Gysi: Ich wollte Ihnen nur sagen, was Sie erlebt haben, habe ich auch mein Leben lang in der DDR erlebt. Ich wurde immer über meinen Vater definiert, also wenn mich wer ‚Ah, Sie sind der Sohn von Klaus Gysi!‘ Man gewöhnt sich daran, man ist eben der Sohn von.
Und 93 kam mein Vater zu mir und sagte:
‚Weißt Du, was mich heute das erste Mal jemand gefragt hat?‘
‚Nein, was denn?‘
‚Na ob ich Dein Vater bin!‘
Also plötzlich [Lachen im Saale] … so, dann passen Sie auf: Dann kam Benedikt XVI. in den Bundestag. Ich weiß nicht mehr, 2011 oder 12 oder so, also lange, lange, nachdem mein Vater schon lange tot war.
Und die Fraktionsvorsitzenden wurden ihm vorgestellt. Und Lammert [Anm.: damals Präsident des Bundestags] sagt, ja, das ist der Fraktionsvorsitzende der Linken, Herr Dr. Gysi, guckt mich an, Benedikt XVI., und sagt: ‚Ich kenne noch Ihren Vater.‘ Da war’s wieder! Auch witzig, ne?
Palmers: War bei mir lange so, also daß sich das umgedreht hat, hat er nicht mehr erlebt. Aber ich kann mich erinnern, als der frühere Landrat von Tübingen mir das wie folgt erklärt hat, dieses Phänomen mit sehr starken und bekannten Vätern:
‚Es ist schwer genug, sich einen Namen zu machen; aber noch schwieriger ist es, sich einen Vornamen zu machen.‘ Da ist was dran, oder?
Gysi: Das stimmt.
Tipps für Ihre Geschichte
PS: Den Satz des Landrats von Tübingen will ich Ihnen als Zitat schon auch ans Herz legen:
‚Es ist schwer genug, sich einen Namen zu machen; aber noch schwieriger ist es, sich einen Vornamen zu machen.‘
PPS: Im Video sehen wir: Boris Palmer erklärt auch sehr gut. In diesem Gespräch zum Beispiel, wie er Umweltschutz und Wirtschaftwachstum miteinander verbinden will und wie er das in Tübingen umsetzt. Wenn Sie Lust auf das ganze Gespräch haben, beobachten Sie gezielt sein Erklärungsgeschick. Mein Fazit: Kein Wunder, daß er nicht mehr bei der Grünen Partei ist: Vernünftig angewandte Intelligenz ist der Feind der widervernünftig dekretierten Ideologie. Das eine ist verantwortungsethisch orientiert, das andere gesinnungsethisch.
PPPS: Turgenews Väter und Söhne habe ich bereits bestellt. Lücken gehören gefüllt; auch die der Bildung.
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