Géza Ákos Molnár 8. Juli 2024
Wenn zwei Alte zusammenkommen, haben sie einander viel zu erzählen. Gysi hat Schröder auf seine Bühne in Berlin eingeladen. Zwei Stunden köstlicher Unterhaltung folgen, mit ernsten Themen, aber zugleich mit viel witziger Schlagfertigkeit und frohem Humor. Die Serie heißt auf youtube übrigens so:
Gregor Gysi und Gerhard Schröder haben das Linke gemeinsam: Gysi war schon in der DDR aktiv und hat sich dann auch nach 1989 für den Kommunismus ins Zeug gelegt. Schröder ist ein klassischer Sozialdemokrat.
Beide sind große Redner und Kommunikatoren. Man tut sich leicht, ihnen gerne bis zum Schluß zuzuhören.
Damit Sie mich nicht mißverstehen: zuhören und zustimmen sind zwei verschiedene Verben.
Ich freue mich immer, wenn ich jemanden höre, dem ich schlicht gerne zuhöre, weil er gut erzählt, klug argumentiert, interessant vorträgt, beeindruckend lehrt, kurzweilig unterhält, kritisch nachdenkt, fein abwägt und entschlossen Schlußfolgerungen zieht. Zuhören tue ich so einem Redner auch dann gerne, wenn ich ihm nicht in allen Dingen zustimme, seine Meinung womöglich sogar ablehne. Gysi und Schröder gehören für mich in diese Kategorie von Rednern.
Zurück zum Gysi-Schröder-Video. An und für sich empfehle ich Ihnen, das ganze Video anzuschauen. In meiner Kolumne will Ihnen heute nur zwei kurze Abschnitte daraus zeigen, weil sie rhetorisch relevant sind.
Gysi zeigt uns im Vorspann seiner Videos immer die Backstage-Szenen. Hier, im aktuellen Video: In der Garderobe reden sich die beiden Herren für ihren großen Bühnenauftritt warm.
Wir erfahren jetzt ein kleines Geheimnis aus der Vorbereitungsarbeit Gysis, der sich anschickt, den Altkanzler vor hunderten Leuten zu befragen.
TC 1:29 bis 1:40: Ich hab‘ dann eine weitere Frage gestrichen. Als Du mich das erste Mal wahrgenommen hast: Was hast Du von mir gehalten? Gar nichts oder war’s noch schlimmer?
Köstlich formuliert! Aber warum hat Gysi die Frage denn gestrichen? Keine Ahnung. Vielleicht, weil sie nicht ausschließlich lustig ist? War Gysi vielleicht draufgekommen, daß die Frage auch eine kokette Art des Fishings for Compliments ist? Daß sie zwar seiner eigenen Eitelkeit guttut, aber den Ehrengast coram publico doch in eine unangemessene Rolle hineinmanipuliert?
Gysi ist klug; er reflektiert alles, auch sich selbst. Das erlaubt es ihm auch, viel über sich selbst zu lachen. Siehe seine Reden im Bundestag und anderswo.
Daß er die Frage also gestrichen hat, hat Gysi dem Schröder die Frage zitierend mitgeteilt. Was für ein schlauer Fuchs!
Da Kommunisten Meister der Dialektik sind, hat er also (1) gesagt, daß er die Frage gestrichen hat; er hat sie aber imselben Augenblick (2) weithin hörbar laut vorgelesen – und – und das ist der Gipfel der eskalierten Keckheit – hat sie noch dazu (3) als Backstageszene quotengierig ins Netz gestellt!
Geschickter Mann, der Genosse Gregor Gysi. Rhetorik der Meisterklasse. Zum Feind möchte ich den nicht haben.
Im Ernst: Manchmal geschieht es uns, daß wir etwas in eine Rede einflechten, das auf’s erste Hinhören phantastisch klingt; das gut Klingende dient aber nicht immer automatisch der Sache; nicht immer ist es den Menschen vor uns angemessen.
Fazit: Es ist immer gut, wenn man sich zwei Mal laut vorliest, was man vorbereitet hat; im Zweifel streiche lieber die supertolle kreative Idee doch. Die Idee kann man ja aufheben, vielleicht kommen wir mit ihr bei anderer Gelegenheit zum Zug.
Wenn man das Format und den Humor hat, das es einem erlaubt, das Ganze so zu handhaben wie Gysi, dann nur zu!
Der zweite kurze Gesprächsabschnitt eignet sich ausgezeichnet für ein Rhetorik-Quiz! Wer war der erste Politiker, der ohne Krawatte ans Rednerpult des Bundestags getreten ist?
TC 43:40 bis 44:26: Gysi: Wann bist Du in den Bundestag eingezogen und warst Du wirklich der Erste, der ohne Krawatte sprach? Und wie reagierte die Mehrheit des Bundestages auf solch schweren, unsagbaren Sündenfall?
Schröder: Ja. Da gab es einen Abgeordneten Haase aus Kassel von der CDU. Der schrie dann als Zwischenruf: Da können Sie auch nackend kommen! [Lachen im Saale]. Das war ein Stilbruch. Aber ich glaube, es hat mich einfach gereizt, das zu machen. Ich bin später anständig da mit Krawatte erschienen, gar keine Frage. Der zweite Stilbruch war ja wohl der von Joschka Fischer. Kennst du den?
Gysi: Nee.
Schröder: Joschka in seiner ersten Amtsperiode, in Bonn noch, …
Aber das ist eine andere Geschichte und rhetorisch zwar auch von Relevanz, aber nicht in unserm entspannten und seriösen Kontext hier.
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