„Der Bundestag ist ja kein Vorlesungssaal.“ Überlegungen zu parlamentarischer Rhetorik

Géza Ákos Molnár 29. Jänner 2018


Norbert Lammert, Jahrgang 1948, war 37 Jahre lang Mitglied des Deutschen Bundestags. Bundestagspräsident war er bis 2017 sage und schreibe 12 Jahre lang. Er ist damit einer der erfahrensten Parlamentarier Europas.

Da er auch ein exzellenter Redner ist, tun wir gut daran, wenn wir Rhetoriker seinen Anmerkungen über Reden im Parlament hohe Aufmerksamkeit schenken.

Ich habe sie zufällig im Fernsehen gesehen und zur Sicherheit gleich transkribiert, man weiß ja nie, wie lange Filmaufnahmen erhalten bleiben.

Lesen Sie die letzten paar Minuten eines ausgedehnten, auch sonst sehr interessanten Interviews des Fernsehsenders Phoenix.

Die zitierte Passage finden Sie hier ab Min/Sek 57:29.

Lammert:

Ich habe gelegentlich in einem Anflug von Polemik gesagt: Unsere, äh, ein Teil unseres Problems in der Wahrnehmung besteht darin, daß im Bundestag zu viel geredet und zu wenig debattiert wird. Der Bundestag ist ja kein Vorlesungssaal.“

Hirz:

Aber liegt das auch an …. der Qualität der Redner? Sie sind ein begnadeter Rhetoriker. Das darf ich sagen und hoffe, Sie widersprechen nicht. Es gibt auch andere, Gregor Gysi zum Beispiel. Demokratie lebt doch auch von der Rede, auch von der freien Rede. Gibt es da so ein gewisses Defizit auch in Deutschland, auch was die Anerkennung, die Achtung eben der guten Rhetorik angeht?

Lammert:

Ja – [ein paar Sekunden lang hält Lammert inne] – auch da verschieben sich die Ansprüche. Also – ob die Faszination für Redner wie Franz Joseph Strauß und Herbert Wehner, um mal zwei große Gestalten einer früheren Parlamentariergeneration zu nennen, heute noch so wäre wie sie damals ist, daran habe ich erhebliche Zweifel.

Und Adenauer beispielsweise war kein begnadeter Rhetoriker und hatte gleichwohl eine erstaunlich stabile Autorität. Also, hier sind mir manchmal die behaupteten Kausalzusammenhänge ein bißchen zu kurzschlüssig.

Dennoch, und das ist ja der Kern der Frage gewesen: Parlamente heißen Parlamente, weil in ihnen sozusagen durch Aussprache darum gerungen wird und einer Öffentlichkeit vermittelt wird, wie man die kleinen und die großen Aufgaben eines Landes anpacken und wie man sie lösen will.

Und da spielt’s natürlich eine Rolle, ob und in welchem Maße jemand in der Lage ist, komplizierte Fragen in einer Weise zu veranschaulichen, daß deutlich wird, worum es überhaupt geht und warum die eigene vorgeschlagene Lösung anderen auch vorgeschlagenen Lösungen überlegen ist.

Ich bleibe allerdings bei meiner Empfehlung:
In den allermeisten Fällen läßt sich dies durch knappere Debattenbeiträge wirkungsvoller transportieren als durch lange Reden
.“

Schlagwörter: , , , , , , , , , , , , .