Die zwei Septemberreden 2019. Herbert Grönemeyer und Greta Thunberg.

Géza Ákos Molnár 28. September 2019


Diese Reden lassen niemanden kalt. Die einen johlen und klatschen oder springen und stampfen. Die andern sind verstört, entsetzt, schockiert oder indigniert.

Die eine Rede hat Herbert Grönemeyer am 12. September in der Wiener Stadthalle gehalten.

Die andere hat Greta Thunberg am 23. September vor der UNO in New York City gehalten.

Die eine Rede hat ihren Anlaß in der sog. Flüchtlingskrise, die andere in der sog. Klimakrise gefunden.

Herr Grönemeyer ist 63 Jahre alt und aus Deutschland.
Fräulein Thunberg ist 16 Jahre alt und aus Schweden.

Will ich eine Rede unter rhetorischen Gesichtspunkten beobachten, dann tue ich, wenn möglich, beides:

Ich sehe und höre sie mir aufmerksam an. Und ich lese ihr Transkript genau durch.

Am liebsten würde ich das mit Ihnen gemeinsam tun und dann unsere Beobachtungen austauschen. Da das nicht geht, schlage ich vor, daß Sie, bevor Sie hier weiterlesen, die Videos ansehen und die Transkripte lesen, noch ganz unbeeinflußt von dem, was ich dann weiter unten schreiben werde.

Greta Thunberg

Herbert Grönemeyer

Hier die Transkripte der beiden Reden:

Greta Thunberg 

Herbert Grönemeyer  

Was ist das Hauptmerkmal beider Reden?

Das Hauptmerkmal beider Reden ist ihre kaum mehr zu überbietende Emotionalität.

Herr Grönemeyer schreit, ja er brüllt sogar. Stakkatoartig steigert er Lautstärke, Tempo und Gewalt. Er feuert die Massen an, und die Massen feuern ihn umso mehr an. Bis er dann jäh endet. Beobachten Sie, wie Grönemeyer hin und her läuft.

Fräulein Thunberg preßt mit unglaublichem Druck mit extra gerauhter Stimme ihre Gefühle hinaus und läßt diese Druckwellen mehrfach gegen ihre Hörer rollen. Beobachten Sie, wie Thunberg ihren Kopf immer wieder mit vorwurfsvoller Verachtung ihrer Hörer nach vorne schiebt.

Eine pressure-group facht mit Johlen und Klatschen die Wellenenergie weiter an und das entschlossene Fräulein Thunberg weiß bis zum Ende konsistent zu drücken und zu drohen. Wir sehen die Tränen und die Röte der Erregung in ihrem Gesicht. Ist die pressure-group ruhig, hört man im Saale die Stecknadel fallen.

Die Augen Grönemeyers können wir leider nicht sehen. Die Augen Thunbergs sprechen Bände. Sie sind sehr entschlossen, ganz unerschrocken, unglaublich zornig, überlegen, feindselig. Wenn ich sie so sehe, muß ich an Kindersoldaten denken. Sie werden gut gedrillt an die Front geschickt. UN-Soldaten müssen leider lernen, Kindersoldaten in jeder Hinsicht ernstzunehmen.

Ein Wechselbad der Gefühle gibt es bei keinem der Redner. Beide lassen ihre Leit-Emotion auf höchster Stufe flammen und lodern. Sie gönnen weder sich noch den Hörern nur eine kleine Abkühlung zwischendurch, zum Nachdenken, Entspannen oder Durchatmen zum Beispiel.

Unglaublich konsistent von Anfang bis zum Ende ihrer Reden müssen die Redner das Reden durchhalten und das Publikum das Hören und Spüren.

Aus Erfahrung auf beiden Seiten der Bühne (auf ihr und vor ihr) weiß ich: beides ist hormonell gut zu schaffen.

Man ist unter Hochspannung – danach spürt man aber, wie diese Anspannung den Geist, die Seele und den Körper angestrengt hat.

Was beide mit ihren Reden geliefert haben, das geht einem durch und durch. Es ist einem nicht mehr egal. 

Nicht dann, wenn man ihnen inhaltlich zustimmt. Und auch dann nicht, wenn man das Gesagte inhaltlich ablehnt.

Ich sammle ein paar Charakteristika beider Reden.

Was wollen beide Redner in ihren Reden nicht (mehr)?

  • Sie wollen nicht mehr argumentieren.
  • Sie wollen nicht einmal mehr streiten.
  • Sie wollen nichts mehr fragen, lernen und erfahren.
  • Sie wollen nicht mehr hören, schauen und erkunden.

Was wollen beide viel mehr?

  • Sie wollen diktieren und daß alles auf sie hört und ihrer Anweisung folgt.
  • Sie wollen, daß jeder Mensch alleine nach ihrer Facon selig wird.
  • Sie wollen, daß der Andersdenkende, nunmehr Feind, fortan kein Sagen mehr hat.
  • Sie wollen alles ohne Kompromiß (mit allen Mitteln?) durchsetzen. 

Beide Reden sind Gesellschafts- und Weltuntergangsreden, fachchinesisch formuliert: eschatologische Reden.

Argumente sind abgeschlossen vorausgesetzt. Die zu glaubenden Dogmen sind definiert. Die Werte sind verordnet. Die Gnadenfrist ist im Ablaufen begriffen. 

Das gilt für beide Reden. Es naht das Ende der humanen Gesellschaft (Thema Grönemeyers) oder das Ende der Welt (Thunbergs Thema). 

Will man das Ruder noch einmal herumreißen, gilt nur mehr eines: den Endkampf um den Endsieg zu kämpfen! Es gibt nur pro oder contra; es gibt nur Freund oder Feind. 

Der Feind gehört ausgeschaltet (wie auch immer, das konkretisiert keiner der beiden Redner explizit, implizit spüren wir aber das Schlimmste. Grönemeyer sagt, er, der Feind, hat keinen Platz mehr) und die Menschen haben dem einzigen noch zugelassenen Rettungsplan (der Rettungsideologie) glaubend zu folgen.

Was haben die Themenfelder Grönemeyers und Thunbergs gemeinsam?

  • Sie sind globaler Natur.
  • Sie sind existenzieller Natur.
  • Sie sind schnell geeignet, die Vernunft (ratio) auszuschalten und die Gefühle (emotio) alleine regieren zu lassen, weil sie die betroffenen Menschen instinktiv erfassen, daher auch ganz unabhängig vom Bildungsgrad des Menschen unter die Haut gehen.

Wenn etwas (a) alle Menschen (b) überall in der Welt (c) ganz – also geistig, körperlich und seelisch – betrifft, ist es geeignet, rhetorisch totalitär (kommt vom lat. totus = ganz | den Menschen ganz in Beschlag nehmend) behandelt zu werden.

Wenn der Redner nun auch einer totalitären Ideologie anhängt, spüren wir das unmittelbar in seiner agitatorischen, apodiktischen, demagogischen und ultimativen Rhetorik.

Meine rhetorische Bilanz der beiden Septemberreden:

  • Beide postulieren, alleinseligmachend zu sein.
  • Beide Reden eskalieren nur.
  • Beide emotionalisieren nur.
  • Beide deklarieren das nahende Ende und die letzte Frist.
  • Beide drohen dem Andersdenkenden sehr wütend.
  • Beide wissen die einzige einfache Lösung.
  • Beide fordern ultimativ Gefolgschaft.
  • Beide sehen nur mehr Freund oder Feind.
  • Beide zeigen die Entschlossenheit zum Endkampf.

Fräulein Thunberg geht nach der Rede sogar hin und legt gegen fünf Staaten wegen Verletzung der Kinder-Menschenrechte Beschwerde ein und läßt somit dem kämpfenden Wort die kämpfende Tat folgen.

Mein Schlußwort zu beiden Reden in zwei Punkten:

  1. Wenn Herr Grönemeyer und Fräulein Thunberg geplant haben, mit ihren Reden emotional endzeitmäßig zu eskalieren, respektlos zu polarisieren und ultimativ zu puschen, dann haben sie ihre Reden ausgezeichnet vorbereitet und rhetorisch handwerklich hochprofessionell bewerkstelligt. Sehr gut.
  2. Haben Herr Grönemeyer und Fräulein Thunberg die Absicht gehabt, Menschen, die die Dinge anders sehen als sie, aufzurütteln, sie zu überzeugen, zu gewinnen und dem Gegner respektvoll eine Brücke zu bauen, dann haben sie ihre Reden inhaltlich sehr schlecht vorbereitet und sich beim Halten der Rede undiszipliniert von spontanen Gefühlen übermannen lassen. Nicht gut.

Meine subjektive Einschätzung bei beiden:

Ich glaube, daß Ersteres zutrifft. Ich erachte diese Reden als symptomatisch für die Entwicklung des politischen Diskurses in unserer Zeit. Nicht alles, was rhetorisch handwerklich ausgezeichnet ist, tut auch gut.Lesen Sie dazu auch meinen Artikel zu Greta Thunbergs Rhetorik – April 2019. Sie finden ihn über das Suchfeld.

Schlagwörter: , , , , , , , , , , , , , , , , , , .