Géza Ákos Molnár 25. April 2025
Wenn Sie – ganz unvoreingenommen von meiner Analyse – die Rede Gysis hören möchten, tun Sie es bitte gleich hier und jetzt:
Gregor Gysi kennen alle rhetorisch Kundigen, weil er einer der allerbesten Redner in deutschen Landen ist; ich habe seine Redekunst hier schon bei vielen Gelegenheiten beschrieben. (Gysi ins Suchfeld oben eingeben …)
Das Peter-Prinzip kennen Sie wahrscheinlich auch: Jeder steigt die Hierarchieleiter so weit hinauf, bis er dort angekommen ist, wo er dann doch kläglich scheitert.
Genau heute vor einem Monat, am 25. März 2025, hat Gregor Gysi das fatale Momentum des Peter-Prinzips ereilt.
Die Hierarchieebene des Alterspräsidenten der konstituierenden Sitzung des Bundestags war exakt die, an der der große Redner zum ganz kleinen und müden Redner degeneriert ist.
Sehr schade. Schreiben tue ich heute darüber nur aus zwei Gründen:
Die Rede war viel zu lang und viel zu langweilig.
Ich vermute folgende Ursache: Der Redner hatte strategisch entschieden, seine Rede ohne Redezeitbeschränkung dazu zu nutzen, alle seine politischen Ideen taxativ zu listen und zu begründen.
Nun hat Gysi aber so viele Ideen, daß das dann alle überfordert hat: ihn selbst beim Vortragen und die Mitglieder des Bundestags und all die Zuseher an den Bildschirmen beim Zuhören.
Die Dosis macht das Gift. Gut gemeint ist nicht automatisch gut getan. Was nicht gut getan ist, kann niemandem guttun. Diese Rede hat niemandem gutgetan.
Einmal so vorbereitet, konnte Gysi selbst am Rednerpult nichts anderes mehr tun, als Seite um Seite um Seite vorzulesen. Sie erkennen das im Video leicht.
Von seiner sonst sprühenden Art, von seiner Kunst, mit der Audienz rhetorisch zu spielen, war diesmal nichts zu sehen, nichts zu hören und nichts zu spüren. Ausgerechnet bei der wichtigsten Rede seiner ganzen Laufbahn! Das Peter-Prinzip. Es wirkt.
Dosieren Sie alles Ihrer Rede wohlüberlegt. Ich rufe den Artikel 1 meines rhetorischen Grundgesetzes in Erinnerung: Jede Rede ist immer eine Dienstleistung. Was heißt das? Ich muß so reden, daß sich meine Hörer leicht dabei tun, mir gerne bis zum Schluß zuzuhören.
Gregor Gysi hat etwas sehr Richtiges getan. Die letzte Sitzung des alten Bundestags war gerade zu Ende gegangen. Gysi ist zielstrebig hinaufgelaufen zum Tisch des Bundestagspräsidenten. Er hat sich dort in die Technik einweisen lassen. Und er hat den Sitz ausprobiert, nachgesehen, wie man seine Höhe verstellt.
Auf das Wichtigste aber hat er vergessen. Er hat nicht geprüft, wie groß der Abstand zwischen ihm und seinem Redekonzept sein wird. Bei der Rede wird er ja stehen. Die Höhe des Tisches des Präsidenten ist nicht verstellbar.
Sie sehen im Video: Gregor Gysi hat sich schwer getan beim Lesen. Manchmal hat er sich sogar verlesen. Der lange Text war zu weit weg von seinen Augen.
Vornübergebeugt, müde wirkend, sich mit seinen Händen abstützend hat Gysi sich von Seite zu Seite gemüht, 36 lange Minuten lang. Wirkt der Redner müde, werden auch die Hörer müde!
Gysi, angestrengt. Sehen Sie, wie die beiden Bundestagsbeamten dreinschauen?
19:41 Minuten des müden Gysi haben sie hinter sich. 17 Minuten folgen noch.
Tipp Nummer zwei:
In diesem Fall: An Gysis Stelle hätte ich ein Tischpult verwendet. Dann wäre alles viel eleganter und komfortabler gelaufen.
In jedem Fall: Erkunden Sie zeitgerecht das Rednerpult und die andern äußeren Gegebenheiten Ihres Auftritts. Bereiten Sie alles so vor, daß Sie sich beim Reden technisch und physisch leicht tun, Ihre Rede zu halten.
Wenn Sie sich leicht tun zu reden, tun sich die Leute automatisch leichter, Ihnen gerne zu lauschen.
Das Konzept Gysis ist wirklich schlimm. Lauter A4 Blätter ganzseitig eng beschrieben. Ich habe eine Momentaufnahme der Fernsehübertragung herausgeschnitten. Gysi blättert grad um.
Sehen Sie, was er sieht, wenn er seine Rede vorträgt? Das kann ja gar nicht gut gehen! Nicht 36 Minuten lang! Eine miserable Dienstleistung seiner diesbezüglich dilettantischen Mitarbeiter?
Und Gysi? Hat er auf die Qualitätskontrolle des Konzepts vergessen? Hat er die Rede nicht geübt? Spätestens dabei hätte ihm auffallen müssen, wie untauglich sein Konzept gestaltet ist.
Verdacht: Das Peter-Prinzip hat auch mit Selbstüberschätzung zu tun. Begabte, glänzende Redner neigen dazu, schlampig und lässig zu werden. Ist Gysi einer von ihnen geworden?
Allerspätestens beim lauten Üben der Rede checke Dein Redekonzept! Ist es gut lesbar? Ist es handlich? Ist es so gestaltet, daß ich mich auch dann leicht und schnell im Text zurechtfinde, wenn ich beim Reden viel Blickkontakt mit meinen Hörern halte? Nicht, daß ich beim Reden den roten Faden verliere!
Wenn Mitarbeiter Ihre Redekonzepte anfertigen: Weisen Sie sie bitte gediegen ein. Sie müssen wissen, wie genau sie das Konzept auf welchem Papier welcher Größe zu designen haben. Maßgabe: Beim Reden müssen Sie sich dann leicht tun, es gut zu verwenden. Ihr Konzept muß Ihnen eine Hilfe sein!
Ich zeige Ihnen, was mir in der Rede noch am meisten gefallen hat. Ich transkribiere die Stelle, wo es um Steuern geht. So spröde das Thema, so lustig das von Gysi ausgesuchte Beispiel, eine absurde Realsatire deutscher Politik:
TC 20:15 Und ich möchte noch ein nettes Beispiel für unser Steuerwirrwarr nennen. Es gibt fünf verschiedene Umsatzsteuern für Weihnachtsbäume.
Der künstliche Weihnachtsbaum zieht eine Umsatzsteuer von 19 % nach sich. Der gezüchtete Weihnachtsbaum aus dem Baum- und Gartencenter zieht eine solche von 10,7 % nach sich. Der selbstgeschlagene gezüchtete Weihnachtsbaum zieht eine Umsatzsteuer von 7 % nach sich. Erwirbt man direkt von der Forstwirtschaft einen natürlich gewachsenen Weihnachtsbaum, zieht das eine Umsatzsteuer von 5,5 % nach sich.
Und dann gibt es noch die Möglichkeit, daß man rechtswidrig sich selbst einen Baum im Wald schlägt, und der zieht gar keine Umsatzsteuer nach sich.
Aber in den andern vier Fällen müßte es doch möglich sein, zu einer einheitlichen Regelung zu gelangen. TC 21:10
Allein, es war zu spät. Wer 20 Minuten ziemlich langweilig vorgelesen hat, hat rhetorisch schon verloren. Wir hören, wie sich viele im Saale rege miteinander unterhalten.
Die Regie zeigt uns während der Rede Gysis immer wieder einen Mandatar mit einem Buch in der Hand. Ich dachte zuerst: Es ist ihm schon so fad, daß er lieber liest.
Bis ich dann später entdeckte: Er liest gar nicht. Er macht Werbung für ein Buch. Und bei noch genauerem Hinsehen lese ich den Buchtitel. … Über das Schönreden der SED-Diktatur! Das ist ja nicht Werbung. Das ist Protest.
TC 23:26 Hubertus Knabe, Die Täter sind unter uns: Über das Schönreden der SED-Diktatur
Dieser mir unbekannte Mandatar protestiert hier gegen den Redner. Es redet ja jetzt immerhin der letzen Vorsitzende der SED, jener Partei, die die tyrannische Diktatur der DDR verantwortet. Dessen kommunistisches System hat Herr Gregor Gysi zeit seines Lebens unterstützt – ohne sich später je gegen es gewendet zu haben. Ganz im Gegenteil.
Schöngeredet hat er das menschenverachtende Regime sogar in dieser Rede am 25. März 2025.
Das Buch von Hubertus Knabe, das der Abgeordnete hier während der Rede des Mitglieds der DDR-Nomenklatura in die Kameras zeigt, ist nichts weniger als seine lautlose und an diesem Tage umso beredtere Gegenrede bei der konstituierenden Sitzung des 21. Bundestags der Bundesrepublik Deutschland.
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