Henry Kissinger ist am Wort.

Géza Ákos Molnár 2. Feber 2016


Ein Großer dieser Welt, wie er mit dem Worte dient.

Ich zeige Ihnen diese Rede heute, weil ich mich freue, wenn in besonderen Situationen Reden auch dann wirken, wenn sie rhetorisch handwerklich gar nicht so sehr glänzen.

Den objektiven  Maßstab dafür, was eine gute Rede ausmacht, gibt es und ich unterrichte ihn auch aus guten Gründen, und niemand soll ihn verachten.

Nur: Es gibt in der Rhetorik auch den subjektiven  Maßstab, und bei dieser Rede hier ist er ebenso wichtig anzulegen wie der objektive.

Objektiv redet Kissinger zu langsam. Subjektiv ist es angemessen – er macht es, damit wir ihn leichter verstehen.

Objektiv redet Kissinger mit viel zu wenig Blickkontakt. Er liest zu viel vor. Subjektiv tut er gut daran – damit angesichts des Toten und der Gemeinde hier jedes Wort paßt und sitzt und jeder Satz klar bleibt. Zumal Kissinger deutsch redet.

Es liegt auf der Hand, warum hier „subjektiv“ den Vorrang vor „objektiv“ hat:

  1. Kissinger ist alt (93). Seine Artikulation und seine Mundmotorik sind nicht mehr die eines jungen Mannes.
  2. Kissinger ist fast sein ganzes Leben in den USA gewesen. Deutsch klingt nicht mehr wie seine Muttersprache.
  3. Kissinger ist ein guter, enger, persönlicher Freund des verstorbenen Helmut Schmidt. Er muss um der Würde des Staatsaktes willen seine eigenen Gefühle im Zaum halten.

Die Menschen haben ihm gerne zugehört und sie sind, weil sie „subjektiv“ sehen, froh, getröstet, dankbar.

Das Großartige an dieser Rede ist Kissingers Entscheidung, als US-Staatsmann deutsch zu reden! Damit erweist er dem deutschen Volk und seinem vielgeehrten verstorbenen Bundeskanzler eine große Ehre.

Und das „objektiv“ vielleicht Mangelhafte macht er mit seiner ganzen Haltung „subjektiv“ mehr als wett: 

Wieviele Bilder läßt Kissinger über Schmidt in unserm Kopfkino entstehen? Er erzählt so viele narrative Details, dass es wiederum leicht ist, ihm zu folgen. Kein Abschnitt ist zu lang, weil er viel erzählt. Damit macht er die Rede schön.

Conclusio:

  1. Wenn es um Ihre Rede geht: Streben Sie so gut wie nur möglich, dem objektiven Maßstab zu entsprechen, um der rhetorischen Qualität willen!
  1. Nur: Zu dem, was Sie vielleicht noch nicht wirklich gut können oder altersbedingt nicht mehr so gut können, sage ich Ihnen folgendes:

    Sofern Ihre Rede die 3 Qualitätsmerkmale hat (Essenz, Emotion, Ehrlichkeit), machen Sie sich Mut: Subjektiv hat Vorrang, bei beidem: beim Reden und beim Hören. Die hörenden Menschen spüren, wie Sie es meinen!
  1. Mit einem objektiv Gebotenen punkten Sie subjektiv immer, und das kann jeder, wenn er denn will: Erzählen Sie, lassen Sie Bilder entstehen! Das lieben alle.

Hut ab vor Rednern, denen etwas am Herzen liegt, die sich ringend vorbereiten, die demütig üben und sich dann mutig auf die Bühne begeben! 

Hut ab vor den Rednern, die „objektiv“ wirklich mit dem einen und andern Ach und Weh zu kämpfen haben, aber ihre Rede „subjektiv“ umso besser halten, weil sie wissen: Das ist heute wichtig! – 

Bei solchen Rednern spürt man regelrecht, daß ihre Rede unter die Haut geht. Wie hier beim alten Kissinger. Hut ab vor seiner Demut und vor seiner „subjektiven“ Vollmacht.

Letzte Anmerkung zu Kissinger hier, inhaltlich: wer Spaß daran hat und neugierig ist: Vergleichen Sie mal das deutsche Transkript mit dem englischen Originaltext! Die feinen Unterschiede lassen einen doch auch schmunzeln und fragen: Warum wohl hat er das dann nicht auch auf Deutsch gesagt?

Das Transcript der deutschen Rede und der englische Grundtext

Weil es sich gar so gut an das fügt, was Kissinger über den Verstorbenen gesagt hat, hier die Aufführung des Liedes, das Helmut Schmidt beim Staatsakt zu singen verfügt hat:

Matthias Claudius, „Der Mond ist aufgegangen“
Der Text des Liedes als PDF

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