Quod non licet bovi, licet Iovi. Jupiter Zeilingers Parlamentsrede.

Géza Ákos Molnár 7. Juni 2024


Ich habe hier schon einmal eine Rede Zeilingers vorgestellt; diejenige nämlich, die er bei den Salzburger Festspielen 2023 gehalten hat. Heute zeige ich Ihnen seine Rede über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Glaube, die er im Mai 2024 beim Gebetsfrühstück im österreichischen Parlament gehalten hat.

Ein gar merkwürdiges Publikum

Die illustre Schar seiner Hörer verdient hier auch eine eigene Würdigung, ist es doch – Achtung: Euphemismus – eine Herausforderung, ihm etwas Gescheites und Sinnvolles vorzutragen.  

Mein Eindruck: Humor deutlich unterentwickelt, Handysucht bzw. mangelhaftes Benehmen deutlich überentwickelt. Die Gesichtszüge der Edlen stehen still wie es sonst nur die Züge der Deutschen Bahn tun. 

Hier redet nun einer, der mehr weiß als alle hier, zu denen, die alles wissen und das auch noch besser als er. 

So ein Publikum der Kategorie „wichtig“ & „sehen & gesehen werden“ ist rhetorisch nur mit gezielter Anrede, mit wohldosierter Provokation und mit scharfer Würze zu knacken.  

Professor Zeilinger allerdings ist aus edlerem Holz geschnitzt als ich. Er redet daher einfach und läßt sich weder irritieren noch sonstwie aus der Ruhe bringen. 

Er kombiniert logische Argumentation mit weichmachenden Austriazismen und konfrontiert wohl bewußt niemanden. Jupiter steht über den Dingen – und auch über diesen Geistern da, im Saale des Parlamentes hier. 

Zeilinger erklärt, argumentiert, erzählt und bekennt.

Und alles in aller Ruhe. Und alles mit Schmäh.

Das Großartige: Es redet ein Naturwissenschafter ganz im Sinne der Aufklärung. Das ist man im Parlament und auch in den Kirchen gar nicht mehr gewohnt.

Denn beide haben mittlerweile Zuflucht bei menschengemachten Ideologien und ihren Dogmen und deren politischen, mit Moral verbrämten Ableitungen genommen. 

Vielleicht erklärt das auch die Teilnahmslosigkeit der Hörer dort; sie verstehen gar nicht. Sie haben keine Ohren, zu hören. Kennen sie den Geist der Aufklärung im Sinne Kants (sapere aude!), gekoppelt mit dem Mut zu eigenständigen Denken und Schlußfolgerungen-Ziehen gar nicht mehr?

Quod non licet bovi, licet Iovi.

Ich habe diese Sprichwort hier umgedreht. Was das Rindvieh nicht darf – Jupiter darf sehr wohl! Worauf will ich hinaus? 

Ich bin ja ein qualitätsorientierter Rhetoriker. Wer meine Kolumne liest oder wer durch meine Schule gegangen ist, kennt die allerhand Qualitätskriterien der guten Rede. 

Bei Zeilingers Rede hier mußte ich oft schmunzeln. Pfeifft er doch auf viele meiner wichtigen Qualitätskriterien. Allein, über Zeilinger kann ich darob keine einzige Sekunde ungehalten werden. 

Zeilinger darf von mir aus schlampig artikulieren, sich oft verhaspeln, noch öfter „sozusagen“ sagen, die Übergänge zwischen den einzelnen Themenabschnitten so tonalisieren, daß man erst hinterher draufkommt, daß er schon beim nächsten Kapitel angekommen ist. 

Er darf dort, wo ein Punkt ist, mit der Stimme hinauf- statt hinuntergehen und somit einen Beistrich (ein Komma) machen, wodurch die gute Spannung der Rede erheblich leidet. 

Er darf auch vielfach (ich hab‘ dann irgendwann zu zählen aufgehört) „abschließen“ und „zum Schluß kommen“, bevor er seine Rede tatsächlich vollendet. 

Er darf alles, was sonst kaum jemand darf, zumindest nicht in meiner Rhetorikschule. 

Warum darf Jupiter Zeilinger, was das Rindvieh Molnár nicht darf?

Wer eine Kapazität ist wie Professor Zeilinger – und ich kenne ein paar andere Kapazitäten dieser außerordentlichen Klasse, die rhetorisch nicht zu den Großen zählen – an den lege ich ganz andere Maßstäbe an. Aber nur an sie.

Warum denn? 

Darum: Daß wir solche Männer überhaupt reden hören dürfen, ist ein Geschenk des Himmels. 

Angesichts dieses Geschenks sage ich sogar: Vergiß jetzt die Regeln, vergiß heute die Qualitätskriterien – sei froh, daß Du Dich zu den Hörern dieses Lehrers zählen darfst. Heute, wenn Ihr Zeilingers Stimme hört, verstocket Eure Hirne nicht (frei nach der Bibel). Ein Geschenk des Himmels, daß hier ein Gelehrter spricht (freilich vor vielen Geleerten, die gar keine intellektuelle Erfüllung suchen – so meine bitterböser Verdacht).

Fünf Besonderheiten dieser Rede

Folgende fünf Dinge haben mir besonders gut gefallen:

Erstens: Der Redner an sich. Der Redner ist ein Genie. Er ist eine Persönlichkeit. Er hat einen feinen Charakter, der sich darin ausdrückt, daß er auf Augenhöhe mit uns redet und nicht vom hohen Katheder des gekrönten Physikers und Nobelpreisträgers zu uns oder gar über uns hinweg. Beim Blick auf das Publikum denkt man schon fast an die Psalmworte „und sie brüsten sich wie ein fetterWanst“ (Psalm 73 – zu lesen sehr empfohlen). Was für ein Kontrast: hier jenes Publikum und dort dieser persönlich bescheiden auftretende Nobelpreisträger.

Zweitens: Auch wenn es durch die rhetorisch mangelhafte Weise des Vortrags kaum erkennbar ist, die Rede ist fein vorbereitet, die Thesen klar gekennzeichnet, die Argumente für ihre Richtigkeit schlüssig dargelegt; Zeilinger hat sich eine gute Struktur für die Rede überlegt.

Drittens: Er bezeugt seine persönliche Überzeugung. Mein Lieblingszitat dazu:  

Ich wurde einmal gefragt von einem Journalisten vor vielen Jahren, ob ich Atheist bin oder Agnostiker.  Meine Antwort war: „Als Wissenschaftler bin ich Agnostiker. Denn die Naturwissenschaft hat dazu nichts zu sagen. Aber als Mensch bin ich weder, noch.“ Und dazu stehe ich: weder, noch. Weder, noch.

Viertens: Sein Schmäh. Unterhaltungswert hat zum Beispiel folgende spontane Anrede des Präsidenten des Nationalrates Wolfgang Sobotka:

Ich möchte‘ was Persönliches, ich möchte langsam zum Abschluß kommen; ich weiß nicht, wie lange ich schon rede. Also ich finde, es ist eine kleine Anregung an den Herrn Präsidenten: Ich finde, es sollte ein Gesetz geben, daß es keinen Vortragssaal geben darf, wo der Sprecher nicht eine Uhr sieht. Du bist meine Uhr, also wieviel Zeit hab‘ ich noch?

Fünftens: Da ich immer und überall betone, wie wichtig es ist, daß der erste und daß der letzte Satz einer Rede allerbestens vorbereitet sind, zeige ich Ihnen hier die großartige Idee des letzten Satzes dieser Rede:

Und ich schließe, weil die Welt derzeit in manchen Dingen unerfreulich aussieht, ich schließe mit einer meiner Lieblingsaussagen der Bibel, wir werden’s heute noch sprechen: „Dein Wille geschehe!“

Ich habe die Rede für Sie transkribiert. Sie finden das Transkript in diesem Dokument.

Und hier sehen Sie das Video mit der Rede Professor Zeilingers:

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