Géza Ákos Molnár 16. September 2025
„So menschlich, so verletzlich sieht man Bundeskanzler Friedrich Merz sonst nie! Am Montag sprach der CDU-Politiker bei der Wiedereröffnung der frisch sanierten, ehemaligen Münchener Hauptsynagoge – und weinte.
“So leitet Franz Solms-Laubach seinen politischen Kommentar zur Merz’schen Rede vom 15. September 2025 ein. In den Kommentar eingebettet ist auch das Video der Rede.
Ich knüpfe rhetorisch an.
Nüchtern betrachtet reiht sich die Rede Merz‘ inhaltlich unauffällig ein in eine schier unendlich lange Reihe von Reden deutscher Politiker über die Verbrechen der Nationalsozialisten. Wie schwer muß es sein, diese Tradition mit guten Reden am sinnvollen Leben zu halten.
Viral gegangen ist diese Rede jetzt nur wegen der Tränen des Kanzlers. Weil Menschen aus Fleisch und Blut eben mit Mitgefühl reagieren, wenn sie jemand weinen sehen. Gott sei Dank ist das natürlicherweise so. Weint der Kanzler, geht einem das schon nahe. Vor allem vor Ort.
Heißt das, daß es gut ist, wenn ein Redner auch wirklich zu weinen beginnt, wenn ihm am Rednerpult zu weinen zumute ist? Ein paar Aspekte:
Was heißt das? Ich tue alles, was ich kann, damit sich meine Hörer leicht dabei tun, mir gerne bis zum Schluß zuzuhören.
Redner, wisse daher: Tränen des Redners berühren nicht nur. Sie bringen die Hörer in Verlegenheit, die sich dann fragen: Wie reagieren? Wie dem Redner helfen? Wie ihn trösten? Zu ihm hinschauen oder diskret wegschauen? Oder sollen wir applaudieren, um ihn zu bestätigen und zu ermutigen und voranzuhelfen?
Redner, frage Dich: Welche Gruppendynamik löse ich aus, wenn ich jetzt weine? Will ich sie auslösen?
Gerade in traurigen, ernsten, schicksalsbehafteten Situationen führt der Redner, indem er die ohnehin schon angefochtenen Seelen abholt, berührt, stärkt, ermutigt, tröstet, mit Zuversicht ausstattet.
Führen mit Vorbild heißt rhetorisch, Tränen zwar im Auge zuzulassen, sie aber nicht fließen zu lassen, die Stimme beben zu lassen, aber sie nicht schluchzend verstummen zu lassen.
Redner! Deine Hörer brauchen Dein Wort, Dich, Deine Hoffnung, Deine Einsicht, Deine Zuversicht, Deine Zusicherung oder Deinen Hinweis auf Den, Der Allein wirklich retten kann.
Ist das nicht gefühlskalt? Ich sage Ihnen aus reicher Erfahrung des Hörens vieler Reden angesichts von großem Leid und schweren geschichtlichen Momenten:
Jedem Redner mit dem Herzen am rechten Fleck merken die Hörer an, daß er sehr wohl voller Gefühle und Herzenswärme ist, auch wenn er keineswegs weint.
Woran merken sie es? An seiner Stimme , an seinen Augen, an der ganzen Art und Weise seines Redens und des Ringens um das angemessene Wort.
Daher, lieber Redner:
Läßt sich der Redner tränenreich von seinen Gefühlen übermannen:
Visoko, 1996. Einer von uns Soldaten ist in der Nacht tragisch ums Leben gekommen. Alle haben den Schuß gehört. Allzu viele haben den schlimm verwundeten Leichnam des guten Kameraden gesehen. Am nächsten Morgen läßt uns der Kompaniekommandant antreten. Die Rede zum Anlaß.
Schon nach 30 Sekunden fängt der Kommandant bitterlich zu weinen an, seine Rede geht in seinen Tränen unter. Des Guten zu viel, war das wirklich nicht gut.
Nicht während der Rede vor versammelter Mannschaft. Nicht gut vom Anführer, unserm Kommandanten. Nicht gut für uns, die wir schon ohne die Tränen des Kommandanten erschüttert waren.
Übriggeblieben von der Tränenrede ist Hilflosigkeit, Trostlosigkeit, Leere. Die innere Autorität des Kommandanten hat Schaden genommen. Er hat uns damals leid getan, ja. Aber …
Er tut mir noch heute leid. Wahrscheinlich konnte er damals nicht ahnen, daß er der Aufgabe dieser Rede mental nicht gewachsen war, daß er sich auf diese Rede ganz anders vorbereiten hätte müssen als auf die andern Reden sonst. Hatte ihn jemand Führungsrhetorik gelehrt?
Auch Führungsrhetorik kann und muß gelernt und geübt werden. Ich biete diese Ausbildung Führungskräften an. Ich empfehle sie ernsthaft, weil ich die traurigen, aber gut vermeidbaren Folgen dieses Defizits zu häufig beobachten muß.
Viele Chirurgen sagen: „So gern ich auch operiere, meine eigenen Kinder würde ich nie operieren.“
Eigene Kinder sind dem Arzt nämlich seelisch zu nahe. Darum tritt er dann zur Seite und bittet lieber einen Kollegen, sein Kind zu operieren.
So auch der Redner: Geht es ihm zu nahe, spürt er, daß er sich während der Rede nicht halten wird können, möge er die Rede lieber gar nicht halten und jemand andern um diesen Dienst bitten.
Muß er allerdings reden, weil nur er dafür in Frage kommt, dann möge er sich besonders gut vorbereiten. Ich denke gerade an jemand, für den ich ab und wann Reden schreibe. Er ist nahe am Wasser gebaut, vor allem bei privaten Feiern.
Wir haben miteinander herausgefunden, wie er im entscheidenden Augenblick den Dammbruch tatsächlich verhindern kann:
So komisch es klingt, ein Schluck Wasser verhindert das Rinnen seiner Tränen. Spürt er das Wasser in die Augen kommen, unterbricht er die Rede für einen Moment, greift zum vorbereiteten Glas und trinkt einen Schluck Wasser. Die zwei oder drei Sekunden retten die ganze Rede von vier Minuten auf sehr dezente Weise.
Es ist ein schlimmer Aspekt von Tränen beim Reden: Es gibt Menschen mit der seltenen Gabe, Tränen aus taktischen Gründen zu produzieren und sich mit ihren Tränen zu inszenieren, um ihre Hörer zu täuschen, um die eigene Absicht zu tarnen, um Menschen emotional zu manipulieren oder zu erpressen. Oder um in die Schlagzeilen zu kommen, quotenorientiert.
Wenn jemand über tote Juden des Holocaust weint, über im Jahre 2025 noch lebende Juden in dunklen Tunneln der Hamas und über brutal verprügelte jüdische Studenten an der Berliner Universität nicht zu weinen vermag, dann läßt das den kritischen Hörer womöglich fragen: Sind denn die Tränen des Redners überhaupt echte Tränen?
Das abschließend aus der Ferne einzuschätzen, ist schier unmöglich. Vielleicht sind sie tatsächlich echt. Sie können ja auch Ausfluß einer tiefliegenden kognitiven Dissonanz des Redners sein.
Die Glaubwürdigkeit der Tränenrede Merzens hängt an der vom eingangs erwähnten Kommentator formulierten Erwartung: daß den Tränen nun endlich, endlich auch Taten folgen werden. Die Zukunft wird’s uns zeigen.
Das zeige ich Ihnen sehr gerne im persönlichen Training oder in eigenen Seminaren für Ihre Kollegen. Rufen Sie mich an oder schreiben Sie mir. Sie sind immer willkommen!
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