Saša Stanišić und wie aus einer Dankesrede eine Schimpfrede wurde.

Géza Ákos Molnár 30. März 2020


Der Anlaß der Rede

Višegrad und Heidelberg, in den 1990ern. Ein Bosnier, der als Teenager vor dem Krieg in Bosnien nach Deutschland geflohen war, hat unglaublich gut gutes Deutsch gelernt. Er wurde sogar Dichter.

Das ist die faszinierende Lebensgeschichte, die Stanišić in seinem autobiographischen Werk namens Herkunft schildert.

Frankfurt am Main, 14. Oktober 2019. Für Herkunft erhält Saša Stanišić den hochdotierten Deutschen Buchpreis 2019. Sie werden im Video unten die große Freude in seinem Gesicht sehen, als er seinen Namen gerufen hört. Was für ein Augenblick! Wer das sieht, freut sich mit ihm. 

Wie bei solchen Auszeichnungen üblich, geht der Ausgezeichnete nun auf die Bühne. Er läßt sich gratulieren und übernimmt die bedeutendste Urkunde, die er in seinem Leben je erhalten hat.

Und dann tritt er ans Rednerpult. Es wird still im Saal. Und wir warten nun gespannt, was er wohl sagen wird.

Bevor Sie weiterlesen, sehen und hören Sie bitte die Rede. Sie beginnt bei Min. 3:15.

Wenn Sie mitlesen möchten: Hier ist das Transkript seiner Rede.

Meine rhetorischen Beobachtungen

Die Rede hat für diese Art von Feier genau die richtige Länge. Fünf Minuten ungefähr. Sehr persönliche Worte vom ersten bis zum letzten Satz. Emotional. Wir spüren, wie ihm das Thema unter den Fingernägeln brennt. Daher ist das auch eine Rede mit Essenz, mit Inhalt und mit einer Botschaft und nicht einfach eine Rede leerer Formeln und hohler Phrasen. Saša Stanišić hat gut vorbereitet.

ABER mit Blockbuchstaben: Ich finde es jammerschade und ärgerlich, daß sich Stanišić ausgerechnet bei der Verleihung des größten Preises seines bisherigen Dichterlebens echauffiert (so sagt er es selbst!). 

Noch dazu „echauffiert“ er sich ausgerechnet über die angekündigte Verleihung eines noch wesentlich bedeutenderen Literaturpreises an einen wesentlich älteren und sogar weltberühmten Dichter der deutschen Sprache: Peter Handke. 

Saša Stanišić spitzt in seiner Rede noch zu, indem er Peter Handke als jemanden zeichnet, der mit der Wahrheit auf Kriegsfuß stünde (ich drücke das hier noch sanft aus). 

Natürlich dankt Saša Stanišić ganz am Ende seiner Rede denen, die ihn auf seinem Weg zum Dichter unterstützt hatten. Aber jetzt klingt das nur mehr wie ein Dank pro forma. 

Jetzt ist alles schon so wuchtig überlagert von seiner Anklage und seinem Urteil über den andern Dichter, daß man diese Rede nicht mehr eine Dankesrede nennen kann. Sie ist eine Schimpfrede geworden. 

Weil ich Herkunft gelesen habe, sage ich: Saša Stanišić hat das überhaupt nicht notwendig gehabt, er hat sich weit unter dem Wert verkauft, den man bzw. ich ihm beim Lesen seiner Dichtung zugemessen hatte. 

Saša Stanišić hat die Entscheidung getroffen, diese Feier des Deutschen Buchpreises 2019 zu nutzen (ich sage: zu mißbrauchen), um eine (literatur-?) politische Agenda abzuarbeiten. 

Möglich ist das natürlich. In extremis muß es sogar möglich sein, daß ich als Redner etwas in unpassendem Rahmen sage, weil es unaufschiebbar ist und ich es hic et nunc (hier und jetzt) sagen muß.

Was Stanišić getan hat, war marketingtechnisch sogar opportun – siehe Google: „Stanisic und Handke“

Ich habe wegen dieser Rede (weil sie mich echt aufgeregt hat) diese zwei Bücher gekauft und gelesen: Herkunft und Handkes Abschied des Träumers.

Dennoch gibt es rhetorisch einen ganz andern Weg.

Wäre ich sein Redenschreiber gewesen und hätte mich Herr Saša Stanišić trotz anderer vorgeschlagener Optionen wirklich damit beauftragt, (ausgerechnet) das Thema Handke und Serbien (ausgerechnet) für diese Feier vorzubereiten:

Freilich hätte ich das gemacht – aber es ganz anders zu machen, hätte ich ihm vorgeschlagen.

Wie anders machen? 

Man kann den inhaltlichen Konflikt nämlich unter ausdrücklicher Wertschätzung des großen Dichterkollegen als ein großes Ringen zweier Dichter nachzeichnen.

Man kann sogar die große Lust auf ein streitbares Zusammentreffen mit dem Widerpart schildern und nun den Deutschen Buchpreis 2019 zum Anlaß nehmen, ein gutes, offenes Gespräch mit dem Literaturnobelpreisträger von 2019 zu suchen, um in diesem Ringen um ganz und gar gegensätzliche Deutungen der tragischen Geschichte des Jugoslawienkriegs dialogisch voranzukommen.

So könnte der Bosnier, der nun ein anerkannter deutscher Dichter ist, sein Anliegen ehrenhaft ausdrücken und zugleich dem noch viel höher Ausgezeichneten in der Rede die Ehre zuteil werden lassen, die ihm als Dichter allemal gebührt. Und als Reverenz des viel Jüngeren dem Älteren gegenüber. 

Das wäre eine sympathische Rede. Klarheit und Respekt sind kein Widerspruch.

Die anschließende Danksagung an seine eigenen Freunde und Unterstützer fügte sich dann harmonisch an. Die Feierlaune aller wäre gewahrt. Die Medien bekämen dennoch ihre Schlagzeile und der Verlag erzielte dennoch seinen Marketingerfolg.

Alles wäre gut. So wie es für Feiern dieser Art immer gut ist, wenn alle so reden, daß es für alle gut ist. Sogar für die Abwesenden, so man schon über Abwesende (kritisch) redet.

Wie gut wäre es gewesen, wenn ich Herrn Stanišić Redenschreiber gewesen wäre – vorausgesetzt, er hätte meinem Vorschlag etwas abgewinnen mögen!

Ich habe die Rede auch im Detail unter die rhetorische Lupe genommen und die Strategie, Taktik und die rhetorischen Werkzeuge der rhetorischen Agitation beschrieben. Sie können das hier lesen: Redeanalyse.

Anmerkungen

  1. Zur inhaltlichen Debatte um Peter Handke und Serbien verweise ich auf den sehr ausgewogenen Aufsatz von Herrn Götz Kubitschek, der in den 90ern als Offizier der Deutschen Bundeswehr bei IFOR / KFOR in Bosnien eingesetzt war.

    Ich habe seinen Aufsatz Gerechtigkeit für Peter Handke  erst im Zuge meiner Recherchen zu der Rede von Saša Stanišić gefunden.

    Achtung: Sinnerfassend lesen tut diesen Aufsatz Kubitscheks nur, wer ihn wirklich ganz liest. Erst die Geschichte um Kriegsverbrechen, die er am Schluß erzählt, öffnet einem die Augen ganz. 

    Ich war 1996 im selben NATO-Einsatz eingeteilt: die Schlußfolgerungen Kubitscheks teile ich.
  1. Wer nicht nur rhetorisch, sondern in der Sache neugierig geworden ist und sich sein eigenes Bild über Saša Stanišićs und Peter Handkes Blick auf das ehm. Jugoslawien machen will: Ich empfehle beide Bücher sehr. Literarisch sind beide ein Gewinn:

    Saša Stanišić, Herkunft und Peter Handke, Abschied des Träumers vom Neunten Land

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