Géza Ákos Molnár 15. April 2020
Die Rede habe ich im Film Kleine Fälle aus der Serie Über Land entdeckt.
Es ist die Begräbnsrede für den Richter Maximilian Althammer, verstorben mit 66.
Der Amtsrichter Hans Bachleitner kommt ein bißchen zu spät zum Begräbnis seines Kollegen. Als er die Aufbahrungshalle des Friedhofs betritt, beginnt eine Dame gerade ihre Rede zum Gedenken des Toten:
„Der verstorbene Richter Max Althammer war ein Kind unserer Stadt. Keine 500 Meter von hier ist er aufgewachsen. In einem wohlbehüteten Elternhaus, Schule und Gymnasium hier in diesem sehr münchnerischen Stadtviertel. Er war ein hellwacher Geist, ein brillianter Schüler, bei dem sich schon früh abzeichnete …“
Die Kamera schwenkt während dieser Worte immer wieder hinüber zum Richter Bachleitner, man merkt es ihm deutlich an, daß er das nicht aushalten kann, nicht ertragen kann, was diese Frau da so schön und brav vor sich hin sagt. Und tatsächlich, an dieser Stelle:
„Er war ein hellwacher Geist, ein brillianter Schüler, bei dem sich schon früh abzeichnete …“
… da packt er’s nimmer und stoppt die Trauerrednerin laut und sagt:
„Mathe fünf, Latein vier bis fünf, Englisch bei vier abgewählt. Bevor da jetzt weita a Schmoarrn dazählt wird, würd‘ ich mich gern vom Max mit der Wahrheit verabschieden.“
Während er ihr widerspricht, geht er entschlossenen Schrittes von ganz hinten im Saal ganz nach vorne – bewußt nicht brav zum Rednerpult, wo die Dame steht, sondern direkt hin an den Sarg, den er mit seiner Hand wie zum innigen Gruß seines toten Kollegen berührt.
Der Richter faßt sich, holt tief Luft. Und wir hören den Bayer mit tränennassen Augen mit erstickter Stimme voller Leidenschaft fortfahren:
„Der Richter Max Althammer war mein bester Freund.
Mein Vater war Arbeiter – seiner auch, meiner hat sich aus dem Staub g’macht, als ich sechs Johr alt war, und seiner hat seine Mutter mit anderen Weibern beschissen – woran s‘ dann auch eingangen is.
Und so haben da Max und ich uns selbst aufgezogen. Jo, des hab’n wir.
In unserer Zunft gibt es immer weniger wie er einer war. Ein Richter, der nicht verurteilen wollte. Einer, der mit seinem Urteil helfen wollte. Also ein Richter, den man sich nur wünschen kann.
‚Mia gfoll’n die kleinen Fälle,‘ hat er imma g’sogt, ‚weil sich dahinter oft das große Böse verbirgt. Oda oba die Leute, die wirklich Hilfe brauchen.‘
Du woast ein großer Mann. Im Kleinen. Max!“
Diese Szene ist die allererste in diesem Film. Ein starker Einstieg voller Emotionen und einer für den weiteren Verlauf der Geschichte ganz wichtigen inhaltlichen Aufklärung über Beruf, Ethos und Charakter des von Harald Krassnitzer gespielten Richters Bachleitner.
Das Frappante der beiden Reden: Auf ihre Art sind beide Reden gut. Mit einem Unterschied allerdings: die erste ist schlecht gut und die zweite ausgezeichnet gut.
Sehen Sie die Reden hier, am besten vom Start des Films bis zu Minute 3:35: Kleine Fälle – ZDFmediathek (online verfügbar bis 08.07.2020). [Nachtrag 2021: leider nirgends mehr online]
Die erste Rede? Schlecht gut.
Schlecht gut? Nun ja. Eine brave Rede, getragen vorgetragen, alles hat gestimmt, de mortuis nihil nisi bene (die alte gute Regel, über Tote nur Gutes zu sagen), kein Aufreger war zu erwarten, keine Dramatik und auch keine Anekdote. Der brave Bericht über ein braves Leben eines braven Richters eben. Gehalten von einer braven Rednerin.
Schlecht? Weil alles nur Klischee ist. Im Grunde nur formal, bürokratisch. Und deshalb ganz unpersönlich – wie Bürokratie auch gar nicht vorsieht, menschlich und persönlich zu sein oder zu werden.
Darum hätte die gute Frau, wäre sie nicht unterbrochen worden, noch einiges gut Klingendes gesagt. Erzählt hätte sie gewiß auch nichts über den Menschen im Sarg neben ihr. Das ist bei braven Klischeereden immer so.
Gut? Wäre da der Bachleitner nicht nach vorne gestürmt und hätte er dem Schmoarrn die Wahrheit nicht entgegen gerufen – keinem Einzigen der brav betroffen dreinblickenden Trauergäste wäre es je in den Sinn gekommen, diese Rede der Frau am Mikrofon wäre ein Schmoarrn gewesen.
„Schön hat’s g’redt. Und so kurz,“ hätten sie beim Leichenschmaus resummiert. (Dort redet man nicht nur über’s Wetter und über die eigenen Wehwehchen, sondern eben auch „über die Leut, die was g’redt haben.“)
Und die zweite Rede? Ausgezeichnet gut.
Drehbuchautoren sind die besten Redenschreiber. Gezwungenermaßen, weil ein Film nur so und so viele Minuten dauern darf, haben sie gelernt, ganz kurze Reden von schier unvorstellbarer Dichte und Intensität zu formulieren.
So wie hier. Schauen Sie einmal den Redetext an, den ich transkribiert habe. Er stammt aus der Feder von Franz X. Bogner.
Selbst wenn man mit „Mathe fünf, Latein vier bis fünf“ beginnt, eine ganz kleine Rede, die ganz groß ist (wie der Max am Schluß). Sie paßt locker auf ein einziges Blatt A5 Papier!
Natürlich macht das Ausgezeichnet nicht nur der Text des Autors. Die Wirkung kommt auch vom Vortrag selbst. Bis in den Sommer 2020 können Sie das in der Mediathek sehen.
Wenn Sie es nicht mehr abrufen können: Ich mache es hier einigermaßen vorstellbar.
Achten Sie auf die Angaben von Minuten und Sekunden.
Kürzere Pausen kennzeichne ich mit / und längere mit //.
Die Wirkung der Rede fußt auf kurzen Sätzen, die allesamt essentiell wichtig sind. Kein einziger Satz ist unnötig, verzichtbar. Oder?
Und außerdem fußt die starke Wirkung der Rede auf dem großen Mut des Richters Bachleitner, immer wieder lange Pausen zu machen.
Wozu Pausen? Er gibt den Worten Zeit zu wirken. Und sich (weil es im Film eine spontane Rede ist) nimmt er die Zeit, den nächsten neuen Satz zu bilden.
Achtung, für Ihre Praxis: Selbst wenn Sie die Rede vorbereitet haben, tut es bei bestimmten Gelegenheiten sehr gut, sie dann so vorzutragen, als entstünde sie gerade jetzt, in diesem Augenblick.
Worte beanspruchen manchmal Zeit, um sich finden zu lassen. Und Worte brauchen Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Geben Sie ihnen diese Zeit, sonst können sie und Sie nicht durchdringen, berühren, einwirken.
Wer wirklich etwas zu sagen hat, der schweigt zwischendurch stille – in der Rede. Gar nicht leicht in der Praxis. Aber gut. Nebeneffekt: Der Redner wirkt souverän.
Wenn Sie das tun, dann spüren Sie das. Nebenbemerkung: Schöne Musik ist immer Musik mit Pausen. Die andere Musik, doe ohne Pausen, drehst Du ab oder Du brauchst Drogen, um sie zu hören.
Die Rede, mit Struktur und Tempo
Ich hebe nur ein Beispiel hervor: Der letzte Satz da oben dauert neun Sekunden. Anmerkung: Probieren Sie einmal, diesen Satz mit Qualität so zu sagen, daß Sie neun Sekunden dafür brauchen.Sie werden sofort erkennen, wie schwer ein Schauspieler zu arbeiten hat. Selbst ein so kurzer, schlicher Satz bedeutet viel Mühe für den, der ihn spielt.
Zurück zu dieser Rede. Schauen Sie genau, wie lange die Sätze dauern und wie lang die Pausen zwischen den einzelnen Abschnitten sind.
In diesem Kontext und Konnex aus Anlaß, Persönlichkeit des Redners, Geschichte des Toten ist das rhetorisch ideal.
Ich erinnere Sie an meine Rhetoriklehre: Zwei Sätze einer Rede müssen immer perfekt sitzen, der erste Satz und der letzte.
Der letzte Satz dieser Richterrede ist großartig. Er faßt alles zusammen, wenn er mit den Wörtern groß und klein spielt. Max kommt vom lateinischen maximus. Maximus heißt der Größte.
Und so ist die ganze Rede: kurz und klein, langsam vorgetragen ganz groß.
Machen Sie es auch so!
Suchen Sie Unterstützung dabei?
Dazu bin ich da und Sie sind immer willkommen.
Schlagwörter: Transkript, Analyse, Klischee, rede, Pause, Wirkung, Dramaturgie, Formulierung, Harald Krassnitzer, Struktur, Franz X. Bogner, Tipp, Film, Begräbnisrede, Tempo.
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